Bruno Gislers Dopingfall ist vor allem ein Glaubwürdigkeits-Problemfall

Letzte Woche kam, wie nun mittlerweile landauf-landab bekannt sein sollte, der «Dopingfall Bruno Gisler» ans Tageslicht. ich erteilte ihm in einer ersten Stellungnahme auch eine «Samichlaus-Rute», unterliess es aber, einen Schnellschuss-Kommentar abzugeben.

Mittlerweile lief gestern Abend die Sendung «Sportlounge» auf SRF 2, und ich bin mir nun (ziemlich) sicher, dass uns Bruno Gisler und der Schwingerverband anschwindelt.

Heute Morgen war auf der Homepage von bluewin.ch schon wieder ein Beitrag zu diesem leidigen Dopingthema nachzulesen.


(Bildquelle: www.bluewin.ch)

Die «reumütigen» Erklärungen von Bruno Gisler muten, wie SRF richtig feststellt, total abenteuerlich an. Eine Verwechslung von zwei homöophatischen Spagyrik-Fläschchen, die sich zudem wirklich ähnlich sehen, scheint ja noch einigermassen glaubwürdig.

Aber: «Am Morgen beim Aufstehen nehme ich von diesem Spray», erklärte Gisler. Nur: «Sein Spray» ist gegen Erkältungen, und so einen nimmt man in der Regel während der Dauer einer Erkältung. Und so eine Erkältung geht bei so jungen Leuten wie Bruno Gisler allerhöchstens zwei Wochen. Rechnet man die Anzahl der Spray-Einsätze bei einer tatsächlichen Verwechslung mit dem «Übelkeits-Spray seiner Frau» zusammen, dann können diese Sprayeinsätze nach Adam Riese eine Zahl von fünf kaum übersteigen.

Weiter: Mathias Kamber von antidoping.ch kann sich nicht vorstellen, dass der bei Gisler nachgewiesene Wirkstoff Nikethamid von einem Spagyrik-Spray stammen kann. Zumal Nikethamid synthetisch hergestellt wird, und in einem Spagyrik-Spray erwiesenermassen nur natürliche Substanzen zum Einsatz kommen (sollten).

Trotzdem: Die Dopingkommision des ESV (Eidgenössischer Schwingerverband) stellt sich hinter den Schwinger. Urs P. Martin, Arzt des Nordwestschweizerischen Schwingerverbandes (NWS), hat dazu eine Erklärung parat: «Das im Schwangerschaftsspray nachgewiesene Nikethamid stamme von der Brechnusspflanze, welcher Bestandteil des Sprays ist.»
Aber: Der Hersteller des Spagyrik-Sprays verneint die These des Arztes mit der Erklärung: «Es ist ausgeschlossen, dass in unseren Homöopathika oder Spagyrika Nikethamid enthalten ist.»

Kamber erklärte eingangs des SRF-Beitrages, dass homöopathische Mittel wie Spagyrika-Sprays stark verdünnt sind. Somit sind viele Inhaltsstoffe gar nicht oder nur schwer nachzuweisen. Da stimme ich ihm als Chemielaborant, der auch Analytik betreibt, absolut zu.

Zudem: Hätte der Arzt Urs P. Martin mit seiner Brechnuss-Theorie Recht, müsste man sich um die Gesundheit von Bruno Gisler und seiner Frau ernsthaft Sorgen machen. Wikipedia weiss nämlich unter anderem folgendes zu der Brechnusspflanze:

«Früher wurde die Arzneidroge bei Schwächezuständen verordnet, sowie bei Herz-Kreislauf-Beschwerden und als appetitanregendes Mittel. Aufgrund der geringen therapeutischen Breite und der Nebenwirkungen (Anhäufung von Strychnin im Körper), besonders bei Lebergeschädigten, sind solche Arzneimittel fast vollkommen verschwunden. Die Brechnusssamen sind aber noch heute der Ausgangsstoff zur Gewinnung von Strychnin.»

Klingelts? Strychnin wurde früher als Rattengift verwendet, und ist sehr giftig. Daher kommt wohl kaum Brechnuss im besagten Spray vor. Oder wenn dann, bloss in so geringen Mengen, dass sie (die Brechnuss) analytisch nicht feststellbar wäre.

Was mich auch stutzig machte: Zu «Nikethamid in Brechnuss» fand ich weder auf Google noch Wikipedia etwas. Entweder hat uns da der Schwingerverband ein veritables «Weihnachtsmärchen» aufgetischt, oder aber sie verwechseln da etwas gewaltig. Aber: Zweites kann ich mir bei dieser Ansammlung von «gescheiten Köpfen» beim ESV schlicht nicht vorstellen.

Kein Wunder glauben die verschiedenen Online-Portale wie beispielsweise bluewin.ch die anfänglich plausible Geschichte nicht mehr (recht):


(Quelle: www.bluewin.ch)

Ich behaupte jetzt nach all meinen bisherigen Erkenntnissen: Die Quelle von Nikethamid kann nie und nimmer der Spagyrik-Spray sein. Aber: Wie gelangte dieser Wirkstoff in Gislers Dopingprobe?

Die Suche geht weiter. Übrigens, Wikipedia weiss zu «Nikethamid» folgendes:

Nikethamid oder Nicethamid ist ein Psychostimulans und bewirkt im Wesentlichen eine Atem- und Kreislaufstimulation. Es wurde früher unter anderem als medizinische Gegenmaßnahme nach Überdosierungen von Beruhigungsmitteln eingesetzt.

Im Sport gehört Nikethamid wie alle Stimulantien zu den verbotenen Dopingmitteln. Bekannt wurde der Fall der amerikanischen Sprint-Weltmeisterin Torri Edwards, die 2004 der Einnahme von Nikethamid überführt und deshalb für zwei Jahre gesperrt wurde.

2012 wurde der 12-jährige polnische Kartsportler Igor Walilko vom Internationalen Sportsgerichthof freigesprochen, nachdem zuvor bei einer Dopingkontrolle erhöhte Nikethamid-Werte festgestellt wurden und deswegen zunächst eine zweijährige Sperre ausgesprochen worden war. Der Sportgerichtshof wertete die Sperre als übertrieben und unverhältnismäßig. Der Junge hat zuvor Energie-Riegel gegessen, die Nikethamid enthielten.

Nach dem Durchlesen der Wikipedia-Erklärung dämmerte es bei mir heute Morgen erst mal gehörig. Matthias Kamber hatte gestern nämlich die gleiche Erklärung wie Wikipedia. Er behauptete im Sportlounge-Beitrag, dass Gisler sich das Nikethamid mittels Gly-Coramin zugeführt haben könnte. Gly-Coramin ist ein Energie-Bonbon, dass es seit Jahrzehnten gibt. Laut Kamber sei dies die einzig plausible Quelle für das gefundene Nikethamid.
Gisler hingegen verneinte die Zunahme von Gly-Coramin, welches man sich ganz legal (fast) überall besorgen kann.
Kamber erklärte weiter, dass Gly-Coramin im Wettkampf verboten sei, ausserhalb des Wettkampfes jedoch ohne Einschränkungen erlaubt ist.


(Quelle: www.haenseler.ch)

Mario John, Obmann des ESV, machte nun auf Druck von aussen Zugeständnisse im besagten Sportlounge-Beitrag. Denn es ist in meinen, und wohl auch in den Augen vieler anderer Schweizer Sportfans, einfach nicht mehr zeitgemäss, dass der Schwingerverband eine Extrazüglein in Sachen Dopingkontrollen fährt. Die Dopingkontrollen gehören nämlich längst Swiss Olympic unterstellt, einer neutralen und professionellen Stelle.
Denn es riecht in einer zunehmend professionelleren Sportart wie Schwingen mit mehreren hundert aktiven Schwingern schon nach Vetternwirtschaft, wenn der eigene Verband seine Akteure kontrolliert. Zudem sind laut dem ehemaligen Schwingerkönig Nöldi Forrer, der mehr und mehr als Sprachrohr der Schwinger fungiert, die wenigen und unsystematisch durchgeführten Kontrollen «Glückssache».

Mein Fazit dieses Blogbeitrages steckt eigentlich schon im Titel «Bruno Gislers Dopingfall ist vor allem ein Glaubwürdigkeits-Prolemfall«. Bruno Gisler hat in meinen Augen eine Substanz zu sich genommen, die sich auf der Dopingliste befindet. Also ist es ein Dopingfall.
Gisler hat aber ziemlich sicher weder absichtlich noch durch ein dummes Versehen gedopt. Er hat sich das Nikethamid auch nicht mit dem Nasenspray seiner Frau zugeführt. Vielmehr nahm Bruno Gisler wohl Gly-Coramin oder ein anderes Produkt, zum Beispiel einen Energie-Riegel wie der polnische Kartsportler, zu sich. Dabei übersah Gisler vermutlich, dass dieses «Energie-Produkt» Nikethamid enthält.
Und da sind wir beim zweiten Problem: Dem Glaubwürdigkeits-Problemfall. Der ESV wird in Sachen Doping in Zukunft nur noch glaubwürdig agieren können, wenn er die Dopingkontrollen im Schwingsport von Swiss Olympic, einer neutralen Stelle, durchführen lässt. Auch wirkt der ganze «Dopingfall Bruno Gisler» mit den nun gewonnenen Erkenntnissen alles andere als glaubwürdig. Wie der Sportlounge-Sprecher richtig sagte: Gisler und seine Entourage reden sich mit ihren Ausflüchten um Kopf und Kragen.
In meinen Augen gibt es nur noch die Flucht nach vorne: Bruno Gisler und sein Verbandsarzt sollten zugeben, dass er (Gisler) unwissentlich ein «Energie-Produkt» während dem Eidgenössischen Schwingfest zu sich nahm. Urs P. Martin, der Arzt, sollte sich bei Gisler und der Öffentlichkeit entschuldigen und bekennen, dass er sich aus Angst schlicht und einfach nach dem Bekanntwerden des Dopingfalles etwas zusammen gereimt hatte.

feldwaldwiesenblogger

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