Die schwingerische Situation in der Südwestschweiz – Interview mit dem ESV-Geschäftsstellenleiter Rolf Gasser

Wie schon in vergangenen Beiträgen erklärt, lege ich als Vorschau auf das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest vom kommenden Jahr meinen Fokus auf den Südwestschweizerischen Schwingerverband. Letzten Samstag fuhr ich deshalb ein erstes Mal in die Romandie, genauer gesagt nach Murten. Dort traf ich mich mit Blaise Decrauzat, dem Verbandspräsidenten der Südwestschweizer, zum Interview. Die Niederschrift dieses Gespräches erfolgt noch im August.

Inzwischen habe ich mich aber betreffs der schwingerischen Situation in der Südwestschweiz auch mit Rolf Gasser, dem Geschäftsstellenleiter des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV), schriftlich unterhalten.

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Rolf Gasser, ESV-Geschäftsstellenleiter
Bildquelle: Facebook

Im aktuellen SCHLUSSGANG schreibt Manuel Röösli im Editorial: „Für eine gute schwingerische Situation in der Südwestschweiz macht sich auch Rolf Gasser stark.“ Wie ist das zu verstehen, respektive wie gehen Sie dies an?
Gibt es Projekte des Eidgenössischen Schwingerverbandes, um den Schwingsport in der Südwestschweiz zu fördern?

Rolf Gasser: Als Beispiel für Projekte dient der im letzten Jahr durchgeführte Gornergrat-Schwinget in Zermatt, mit dem Ziel dem Schwingen im Oberwallis eine Art Wiedergeburt ermöglichen zu können. Wie nachhaltig der Gornergrat-Schwinget als schwingerischer Geburtshelfer war, kann sicherlich erst in ein paar Jahren abschliessend beurteilt werden.
Der Eidgenössische Schwingerverband ist bereit weitere Projekte in jeder Art in der Westschweiz (organisatorisch, personell und finanziell) zu unterstützen. Jede Region lebt im Weiteren von den schwingerischen Anlässen, die jährlich durchgeführt werden. In der Westschweiz werden im Moment von den 32 nominellen Schwingklubs nur gerade 9 Regionalschwingfeste durchgeführt, dies ist eindeutig zu wenig! Mit den neuen Richtlinien für Einladungsbegehren von Gästeschwingern werden auch die Westschweizer Schwingklubs gezwungen vermehrt Klubschwingfeste durchzuführen, wenn sie in Zukunft an ihren Kantonalschwingfesten noch Gästeschwinger haben wollen.
Zudem profitiert der Südwestschweizerische Schwingerverband überproportional von der jährlichen Ausschüttung der Werbeeinnahmen der Aktivschwinger, da jeder Teilverband den gleichen Betrag erhält (Jahr 2014: je 15‘000 Franken).
Persönlich habe ich eine grosse Affinität zur Westschweiz, da ich einen Teil meiner Käserlehre im Waadtland absolviert habe und von 2000 bis 2010 die Leitung einer Gruyère-Käserei im Kanton Freiburg innehatte. Sowie zudem pro Jahr rund 2‘000 Tonnen Gruyere-Käse in den Kantonen Freiburg und Waadt für meinen damaligen Arbeitgeber einkaufte.

Wie sehen Sie ganz allgemein die „schwingerische Situation“ in der Südwestschweiz, ein gutes Jahr vor dem ESAF2016 in Estavayer?

Rolf Gasser: Es wurden sicher seit dem ESAF 2013 Fortschritte erzielt. Vieles hat auch mit dem Selbstvertrauen zu tun. Nach der Schlappe des Kilchberger-Schwingets 2014, wo die vier Südwestschweizer Schwinger allesamt bereits nach vier Gängen unter der Dusche waren, konnten doch im Jahr 2015 mit dem Schwarzsee-Kranz von William Häni, den Kranzgewinnen durch Benjamin Gapany und Samuel Dind am Weissenstein-Schwinget und dem Kranzgewinn von Michael Matthey am Innerschweizerischen in Seedorf Erfolge gefeiert werden. Erfolge, die den Westschweizer Schwingern Selbstvertrauen und Auftrieb geben und für 2016 die Hoffnung nähren, dass doch zumindest ein Kranzgewinn am Eidgenössischen möglich ist.

Wie sieht die Nachwuchssituation im kleinsten der fünf Teilverbände aus?

Rolf Gasser: Der Südwestschweizerische Schwingerverband hat im Moment 309 Jungschwinger und hat den Nordwestschweizerischen Schwingerverband (297 Jungschwinger) überflügelt! Wichtig zu wissen ist, dass die klassische Rekrutierung von Jungschwingern mit den traditionellen Schweizer Familien in der Westschweiz nur noch im Kanton Freiburg funktioniert. In den anderen Kantonen sind neue Methoden, wie zum Beispiel die Jungschwinger-Rekrutierung bei integrierten Secondos, gefragt. Dies ist übrigens ein Phänomen, das auch in den andern Teilverbänden über kurz oder lang ebenfalls ein Thema sein wird. Denn bei einer Geburtenrate pro Schweizer Frau von 1,52 Kinder wird die Nachwuchsförderung in Kreisen der Secondos und den urbanen Gebieten für den Schwingerverband, aber auch für alle andern Sportarten, von zentraler Bedeutung sein!

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Südwestschweizer Schwingerverband? Bestehen keine sprachlichen Schwierigkeiten, welche auch schon zu Missverständnissen führten?

Rolf Gasser: Der Südwestschweizer Schwingerverband benötigt für die Führungschargen (ZV, AV Büro, TK, TK Jungschwingen, Kampfrichterkommission, Werbekommission, Medienkommission, Verwaltungskommission der Hilfskasse, Verwaltungskommission der Zeitschrift Schwingen Hornussen Jodeln, Obmannschaft der Veteranenvereinigung, Dopingkommission und Fachkommission Jugend und Sport) 12 Mitglieder, die zweisprachig sind. Stellen sie sich vor, dies würde von den vier andern Teilverbänden auch verlangt! Es bestehen sprachliche Schwierigkeiten, aber mit viel Willen sind diese zu bewältigen.

Es ist bekannt, dass in der Romandie eine etwas andere Mentalität vorhanden ist als in der Deutschschweiz. Wie begegnen Sie dem? Stellen Sie das auch im Schwingen fest?

Rolf Gasser: Indem ich immer und immer wieder versuche den anders Denkenden und anders Lebenden zu verstehen, und versuche seine Sprache zu erlernen! Mentalitätsunterschiede gibt es auch innerhalb der Deutschschweiz, und obwohl der Österreicher, der Deutschschweizer sowie der Deutsche die gleiche Sprache sprechen, haben sie nicht die gleiche Mentalität. Wichtig ist hier, dass ich jeden Menschen wie er ist akzeptiere, und nicht immer gleich das Schlechte in ihm suche. Dies ist im Schwingen, wie aber auch in allen andern Lebensbereichen so.

Gibt es im Schwingsport auch eine Art „Rösti-Graben“?

Rolf Gasser: Durch die Sprache bedingt, ja. Mit Massnahmen wie dem Antrag in einigen Deutschschweizerkantonen das Französisch als erste Fremdsprache durch das Englisch zu ersetzen, wird das Zusammengehörigkeitsgefühl generell zwischen der Deutschschweiz und der Westschweiz auch nicht gefördert! Im Schwingerverband hat grundsätzlich die Zahl der französischsprechenden Deutschschweizer abgenommen. Stellen Sie sich den Extremfall vor, dass weder die Deutschschweizer Französisch noch die Westschweizer Deutsch lernen wollen, und in 20 Jahren zur Verständigung in den Kommissionen des Eidgenössischen Schwingerverbandes Englisch als „Amtssprache“ eingesetzt werden muss!

Hatten Sie auch schon das Gefühl, dass sich die Südwestschweizer Schwinger und deren Verband sich gegenüber den Deutschschweizern benachteiligt sahen?

Rolf Gasser: Da stellt sich wieder einmal die Gretchenfrage: Wer ist Opfer und wer ist Täter? Wenn ich in der Minderheit bin, kann ich mich nicht immer in der Opferrolle sehen und muss mich mit viel Selbstvertrauen nach oben kämpfen. Diesen Lernprozess machen nun gerade die Westschweizer Schwinger durch. Mit Selbstvertrauen und der Abnabelung aus der Opferrolle heraus erkämpften sie Kränze am Schwarzsee, am Weissenstein und am Innerschweizerischen. Das ist der richtige Weg, denn der Eidgenössische Schwingerverband lebt von der gesunden sportlichen Rivalität der fünf Teilverbände!

Herzlichen Dank an die Adresse von Rolf Gasser! Diese sehr interessanten und aufschlussreichen Antworten des ESV-Geschäftsstellenleiters machen dem Südwestschweizer Schwingerverband und seinen Athleten sicher Mut. Einzelne Aussagen sollen sie aber auch aufrütteln, Selbstvertrauen zu zeigen und wo es möglich ist, noch mehr zu tun.
Ich persönlich bin der Meinung, dass das ESAF2016 in Estavayer dem Schwingen in der Südwestschweiz weiteren Auftrieb geben wird.

feldwaldwiesenblogger

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