Elf Fragen an Bernhard Betschart, den Kopf der Muotathaler Naturjuuz-Gruppe «Natur pur»

Obigen Beitrag las ich vor einiger Zeit ganz interessiert im Boten der Urschweiz. Ich machte mir dazu ein paar Gedanken, denn es ist auch ein Stück Kulturgut meiner Heimatgemeinde Muotathal. Ich selber habe zwar mit Naturjuuz und Jodeln nichts am Hut, kann es eigentlich auch gar nicht (höchstens unter der Dusche).
Dennoch faszinieren mich solche überlieferten Traditionen, gerade wenn es um Musik geht.

Ich liess die Thematik etwas ruhen, bis in mir der Entschluss reifte, mit der Muotathaler Naturjuuz-Gruppe «Natur pur» auch ein Bloginterview zu machen.
Bevor ich elf Fragen an Bernhard Betschart, den Kopf dieser Gruppe, schickte, hörte ich mir ihre CD an. Die CD von «Natur pur», im Jahr 2007 aufgenommen, beinhaltet verschiedene Naturjüüze. Teilweise erkannte ich die Jüüze, oder hatte sie auch schon mal gehört.
Mit den Muotathaler Naturjüüzen im Ohr hatte ich die Fragen im Nu zusammen.


Die sechs Mitglieder von «Natur pur» beim gemütlichen Beisammensein und Juuzen

Frage 1:
Was ist eigentlich das Spezielle am Muotathaler Naturjuuz?
Der Muotathaler Naturjuuz ist eine urtümliche und traditionelle Form des heute eher bekannteren »Klubjodelns». Der Naturjuuz zeichnet sich durch seine urchige, natürliche und manchmal auch schräge Art aus. Auffallend für das Ohr von Laien sind sicher die »schräg» klingenden Töne der Naturtonreihe. Wie zum Beispiel die Naturseptime oder das Alphorn-FA, welche noch im Naturjuuz überlebt haben.

Frage 2:
Inwiefern unterscheidet sich der Muotathaler Naturjuuz von anderen «Naturjüüzen»?
Der Muotathaler Naturjuuz ist archaischer und roher als zum Beispiel der Toggenburger Jodel oder ein Appenzeller Zäuerli. Die Melodien sind anders aufgebaut. Sie sind naturtöniger und meiner Ansicht nach gehen wir beim Muotathaler Naturjuuz mit der Stimme »höher hinauf» als in anderen Gegenden. Schön urchig halt!

Frage 3:
Wie ist der Naturjuuz eigentlich entstanden?
Das kann heute niemand mehr ganz genau sagen. Es gibt Leute die behaupten, dass es sich um eine Art Kommunikation zwischen Bauersleuten auf verschiedenen Alpen und Viehweiden handelte. Andere wiederum sagen, dass diese Melodien durch Blas- und Streichmusik, welche in Konzertsälen in Schwyz, Brunnen etc. gehört wurde, beeinflusst worden ist. Aber es ist in dieser Region sicher eine der urtümlichsten und ehrlichsten Art zu singen.

Frage 4:
Kann der Naturjuuz jeder erlernen, oder muss man den «im Blut» haben?
Man kann den Naturjuuz lernen, wenn man ein wenig »Musigghör» hat, ohne Zweifel. Aber die Naturtönigkeiten so einzusetzen wie sie früher schon praktiziert wurden, das ist nicht so einfach. Da hatte ich es natürlich viel einfacher, da ich mit dem Naturjuuz aufgewachsen bin. So wurde ich unbewusst als kleiner Bub mit den verschiedenen Melodien und der Naturtonleiter vertraut.

Frage 5:
Merkt man sich die einzelnen Naturjüüze nur durch auswendig lernen, oder gibt es eine Art Notierung dafür?
Ich denke, der Jodelklub Muotathal hat viele Naturjüüze auf Noten geschrieben. Soviel ich weiss, haben auch schon andere Leute die Jüüze auf Noten geschrieben, um sie besser an Workshops und Kursen zu lernen. Wir von der Gruppe «Natur pur» sind mehr oder weniger aufgewachsen mit diesen Melodien. Oder man hat sie durch hören zu Hause, auf alten Aufnahmen von Tonbändern oder im Ausgang gelernt.

Frage 6:
Nehmt ihr’s von der Naturjuuz-Gruppe «Natur pur» wie’s grad kommt, oder habt ihr euch auch Ziele gesteckt, z.B. eine weitere CD?
Das eigentliche Interesse dieser Gruppe ist nicht das Auftreten an öffentlichen Anlässen oder Konzerten, sondern wie schon früher praktiziert: In der freien Natur oder in einer gemütlichen Beiz zusammen mit Kollegen aus dem Herzen heraus zu juuzen. Es gab da aber auch schon sehr interessante und schöne Erfahrungen an Workshops oder Naturtonfestivals im Toggenburg oder Berlin, wo wir unterwegs waren. Eine weitere CD ist momentan nicht geplant, »suscht müässtid dr Dänl und dr Heinz nu ä Chnächt zuächätuä»…


Die Gruppe «Natur pur» an einem Konzert beim NaturtonFestival 2012 in Berlin

Frage 7:
Was ist eigentlich, jodeltechnisch gesehen, der Unterschied zwischen eurer Gruppe und dem Jodelklub Muotathal?
Ich denke da mal an das Einsingen und Stimmenaufwärmen. Was für die Stimme eigentlich ja sehr gut wäre, doch sind wir halt nicht so seriös wie ein Jodelklub… Und natürlich ganz klar die Naturtönigkeit und Melodieführung bei den einzelnen Jüüzen. Bei uns gibt es nur ein kleines »Juuzschema», in dem wir uns bewegen: Ein bis drei Stimmen, zwei mal zwei Teile, die überlieferte Melodie und das persönliche Stimmungsprofil und den Charakter jedes einzelnen Juuzers. Beim Jodelklub wird mehr Wert darauf gelegt dass es einheitlich und in das vorgegebene Schema passt. Es sind in einem Klub ja auch viel mehr Stimmen, die miteinander harmonieren müssen. Dort braucht es also auch mehr Disziplin.

Frage 8:
Was meinst du, steht der Naturjuuz vor dem Aussterben, oder gibt es genügend Nachwuchs, welcher dieses Erbe auch in Zukunft pflegen wird?
Das Interesse am natürlichen Naturjuuz ist, so glaube ich, so gross wie noch nie. Ich spreche da aber nicht von uns im Muotathal, sondern von den Naturtonfestivals, Workshops, Jodelsymposien, etc. Die Eigenheit des Naturjuuzes wurde ja schon vor vielen Jahrzehnten erkannt, wie zum Beispiel durch Hugo Zemp, Cyrill Schläpfer etc. Wie letzten Herbst, als sich ein ein Filmteam von St. Louis (USA) auf den Weg machte, um Anton Büeler und uns von «Natur pur» zu filmen. Es läuft also immer etwas. Was die Muotathaler selber betrifft, so denke ich, ist das Interesse immer noch vorhanden. Es wird noch immer gejuuzt, jedoch gibt es immer weniger Familien, die den Naturjuuz noch zu Hause pflegen. Wie früher bei uns zu Hause, oder bei »s› Guggelers oder s› Fluehöflers etc».

Frage 9:
Gibt es den Naturjuuz eigentlich auf jedem Kontinent?
In jeden Kontinent oder Land gibt es eine urtümliche Form von singen, musizieren, oder wie wir im Muotathal sagen: »juuzen». Es klingt halt zum Teil ganz anders, mit anderen Gesangstechniken, Rhythmen und Melodien. Aber sie sind meistens noch naturtönig und für unser »geschultes» Ohr schräg. Wie der Naturjuuz.

Frage 10:
Ist der Naturjuuz eigentlich auch geschützt, wie so vieles in Sachen «Kulturerbe»?
Da bin ich mir nicht sicher, aber es wäre absolut möglich. Durch seine Eigenart, welcher sich von anderen Regionen unterscheidet, ist der Naturjuuz absolut schützenswert.

Frage 11:
Eure Naturjuuz-Gruppe «Natur pur» ist eine reine Männerdomäne? Zufall, oder bewusst?
Ähm… ja, die Frauen haben’s halt nicht so einfach mit uns… Nein, Spass beiseite. Ich denke, es waren ja immer schon mehr Männer als Frauen, die gejuuzt haben. Das beweist ja auch die ganze Jodelszene und die Jodelklubs. Aber es gibt, und gab im Muotathal/Illgau Frauen mit sensationellen Stimmen, die unter die Haut gehen! Ich persönlich mache da keinen Unterschied, ob Mann oder Frau juuzt, da wir in unserer Familie zu Hause mehr »Meitli» waren als »Buäbä». Ich habe also in jungen Jahren viel mit meinen Schwestern und Eltern gejuuzt, was sehr schön war.

Ich bedanke mich bei Bernhard Betschart für die sehr interessanten und ausführlichen Antworten.
Weitere Infos sind auf der Naturjuuz-Homepage zu finden.

feldwaldwiesenblogger

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