Gestern Abend war ich zur Filmpremiere von FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN eingeladen. Vorgängig entnahm ich ab der Homepage zum Film einige Infos. Denn ich fragte mich: Wieso der Titel FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN? Roger Bürgler, der Macher und Produzent des Filmes schreibt dazu: „Die Schweizer Volksmusik wird seit 1885 vom Schwyzerörgeli geprägt. Die Schweizer Version der diatonischen Knopf- oder Handharmonika, die ihren Ursprung 1829 in Wien hat, wird landauf landab von tausenden von Musikerinnen und Musikern gespielt. Einige von ihnen haben in den letzten hundert Jahren mit ihrer Kreativität, ihrer Neugier und ihrem Können die Schweizer Volkmusik erneuert, verändert oder gar neu erfunden.
Wir nennen sie «Fremdfötzelige Musikanten». Diese brechen mit Konventionen, blicken über die Grenzen ihrer eigenen Tradition hinaus und definieren diese letztendlich neu. Das gefällt nicht allen und trotzdem sind ihre Einflüsse nach einer gewissen Zeit etabliert und akzeptiert. Solche Musikanten, ihre Geschichten und Instrumente stehen im Zentrum des Kino-Dokumentarfilms von Roger Bürgler.“
Bildquelle: feldwaldwiesenblogger
Bisher noch nie an einer Filmpremiere
Kurz vor dem Filmbeginn nahm ich meinen Platz ganz zu hinderst ein. Der Sitznachnachbar zu meiner Linken stellte sich als René vor. Ich sagte zu ihm: „Ich war bisher noch nie an einer Filmpremiere.“ Er erwiderte: „Ich schon viele Male.“ Darauf musterte ich ihn, und dann dämmerte es mir, um wen es sich da handelte. Nämlich um keinen Geringeren als René Zingg vom Soundville Studio in Luzern, welcher für den Tonmix von FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN verantwortlich war.
Der Film begann kurz darauf und ich fühlte mich sogleich wohl. Urchige Schwyzerörgeli-Töne wechselten sich mit schönen Bildern und interessanten Informationen ab. Für mich war der Film zu keiner Zeit langweilig oder langatmig. Bürgler schaffte es, seine Protagonisten, Musiker und Interviewten frei von der Leber weg erzählen oder spielen zu lassen. Ganz ohne Wertung, Kommentare oder sonst etwas. Genial!
Josias Clavadetscher schreibt heute im „Boten der Urschweiz“: „Jetzt hat das Schwyzerörgeli ein fantastisch klingendes Denkmal erhalten. Der Dokumentarfilm von Roger Bürgler ist eine Offenbarung, mit viel Emotion.“ Wie Recht er doch hat! Musik versprüht immer Emotion, und dies kam im Dokumentarfilm wunderbar rüber.
Roger Bürgler sagte am Ende des Filmes, dass er kein profunder Kenner der Volksmusikszene sei. Ich behaupte, er ist nach der Fertigstellung von FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN mit Bestimmtheit ein grosser Kenner geworden. Mir ging es letztes Jahr bei meiner Schreibarbeit über die Muotathaler Volksmusik ähnlich. Vorher war ich eher ein geneigter Zuhörer. Ein halbes Jahr später, nach der Abgabe der Arbeit, war ich zwar noch kein profunder Kenner. Aber sicher eine Art Sachverständiger. Spürte ich doch einigem nach. Genau gleich wie Bürgler für seinen Film.
Vorstellung von verschiedenen Schwyzerörgeli
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Video-Quelle: fremdfoetzeligemusikanten.ch
Die Freude an einem einzigartigen Stück Schweizer Volkskultur
Viele Informationen waren für mich gewissermassen eine Auffrischung meiner Kenntnisse. Einige Details hingegen habe ich bis dato noch nie gehört. Mir gefielen auch die alten Ton- und Bilddokumente (unter anderem vom Haus der Volksmusik, Staatsarchiv Kanton Schwyz, Verlag Gisler AG und Technische Universität Wien) einer längst vergangenen Epoche. Zeitzeugen, Szenenkenner, Örgelibauer und Restaurateure umrahmten die tollen Musikanten, welche wunderbare Töne aus ihren „Schwyzerörgelis“ entlockten.
Der Schreibende übte sich im jungen Erwachsenenalter auch mal am Schwyzerörgeli. Mein Vater zeigte mir, wie man darauf begleitete. Irgendwie schaffte ich es, in einem Skilager an einem Schmutzigen Donnerstag die Fasnächtler zusammen mit meinem Vater und einem weiteren Örgeler mit diesem schön klingenden Instrument zu unterhalten. Ich darf also auch auf einen Auftritt am Schwyzerörgeli zurückblicken. Gestern Abend, während dem Film, überlegte ich mir, ob ich es wieder versuchen soll. Mal schauen…
Die Freude an einem einzigartigen Stück Schweizer Volkskultur ist bei allen Mitwirkenden im Film zu erkennen: Markus Flückiger, Res Schmid, Werner Aeschbacher, Marcel Oetiker, Christine Lauterburg, Lukas Stammler, Sepp «Counousse» Mülhauser. Um nur einige zu nennen. Sie alle bringen ihren eigenen Background mit ein.
Seit 1885 begleitet uns nun dieses wunderbare Instrument. Zu seiner ersten Blütezeit verhalfen ihm die beiden Koriphäen Josef Stump und Balz Schmidig. Später der Örgelidoktor Martin Nauer, der unverwüstliche Rees Gwerder, der Bündner Josias Jenni oder die Schmid-Buebe aus dem Bernbiet. Selbst einer der grössten Schwyzerörgeli-Virtuosen in der heutigen Zeit, Markus Flückiger nannte im Film die genannten Herren als seine Vorbilder. Überhaupt: Markus Flückiger bildete für mich eine Art roter Faden im Film, und wusste zu diesem oder jenem Musiker interessante Dinge zu berichten.
Weiter findet die Geschichte des Schwyzerörgelis Erwähnung, und es wird in Erinnerung gerufen: Diesmal haben’s nicht die Eidgenossen erfunden. Das erste Akkordeon wurde in Österreichs Hauptstadt Wien um 1829 gebaut. Dieses neue Instrument fand kurze Zeit später seinen Weg auch in die Schweiz. Erst wurden sogenannte Langnauerli fabriziert, etwas später die bekannten Schwyzerörgeli. Der Rest ist Geschichte.
Was mich ebenfalls faszinierte, sind die in meinen Augen fast lückenlosen Informationen zum Instrument, zu Musikanten, zu Restaurateuren und Produzenten. Bürgler schaffte es, mit einem cleveren Drehbuch alles Wichtige zum Schwyzerörgeli unter einen Hut, respektive in einen Film zu bringen. Es war eine klare Linie feststellbar. Was FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN auch so einzigartig macht sind die verschiedenen Schauplätze. Einmal wird in einem rauchigen Lokal zur urchigen Stubete aufgespielt, ein anderes Mal in einem Konzertsaal oder zuweilen auch bei einer Feier der Jenischen musiziert.
Der Humor kam im Film auch nicht zu kurz. So konnte man ab und zu herzhaft über irgendeinen träfen Spruch oder eine originelle Situation lachen.
Echo vom Schattenhalb
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Video-Quelle: fremdfoetzeligemusikanten.ch
„Fremdfötzelige Musikanten“ heutzutags
Die im Film vorkommenden Musikformationen sind so bunt wie ein schön verziertes Schwyzerörgeli: Vom Echo vom Schattenhalb, über Flückiger’s AlpeNordsite, Seebi Schmidig mit Johann Buchli und Kari Schorno am Bass, Max Lässer und das Überlandorchester, Schwyzerörgeli-Duo Max Büchel & Lukas Stammler bis hin zum Marcel Oetiker Trio waren viele wichtigen Protagonisten vertreten. Apropos Marcel Oetiker: Den kannte ich bis gestern nicht. Was der aber auf seinem Instrument aufführt, ist nicht nur sehr speziell, sondern zielt auch in eine neue Dimension. Und: Das Instrument kann man, auch wegen seiner handlichen Grösse, nach New York mitnehmen und dort inmitten des pulsierenden Lebens spielen. Diese „Freiheit“ machen sich auch junge Musikstudenten zu Nutzen und integrieren ihr Örgeli in moderne Musik samt zugehöriger Technik, wie wenn es das Normalste der Welt sei. Eine neue Spielergeneration eben! Dazu gehört Markus Flückiger zwar nicht (mehr), denn er lernte noch von Leuten, welche mit dem urchigen Brauchtum aufgewachsen waren. Aber er ist mit Bestimmtheit der Wegbereiter für die neue Generation.
Zu den „fremdfötzligen Musikanten“ darf man heutzutage auch Christine Lauterburg zählen, welche singt, jodelt und sich dazu mit einem Langnauerli begleitet. Sie interpretiert Schweizer Volksmusik, Folk, Ethno, Worldmusic und Pop. Daneben komponiert sie, und zu ihrem Repertoire gehört auch vollständig neu arrangiertes, traditionelles Liedgut.
Mit dem Schwyzerörgeli lässt sich also nicht nur urchige Volksmusik spielen. Auch Weltmusik klingt hervorragend ab diesem Instrument!
Die geistige Landesverteidigung mit den „Musikpolizisten“
Erwähnt im Film wird auch die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, der Kalte Krieg, welche in unserem Land zu einer Art geistiger Landesverteidigung führte. Dazu gehörte auch das Bewahren von Traditionellem. Mit „Musikpolizisten“ wurde den Spielern auf die Finger geschaut, mutige Abweichler wie Flückiger wurden ernsthaft ermahnt. Heute gehört dies der Vergangenheit an, und die Freiheit der Interpretation ist wieder „erlaubt“. Aber: Nichts anderes schon machte Rees Gwerder. Wie Lukas Stammler, Basler und grosser Kenner der Muotathaler Volksmusik, erklärte, wurde Gwerder öfters des Etikettenschwindels bezichtigt. Wenn die Leute aber richtig hingehört hätten, hätten sie begriffen, dass Rees Gwerder statt „komponieren“ das Wort „kombinieren“ gebrauchte. Dieser nutzte nichts anderes als die angesprochene Freiheit der Interpretation und arrangierte die alt-überlieferten Tänzli nach seinem Gusto.
FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN ist der dritte Streich
Roger Bürgler, welcher die Idee und das Drehbuch zum Film hatte sowie zudem Regie führte, ist wenige Meter von der Schwyzerörgelifabrik Eichhorn in Schwyz aufgewachsen. Wo dereinst die Manufaktur im Hinterdorf hinziehen wird, ist noch nicht klar. Die heutigen Betreiber, Inhaber Greuter & Sohn, wollen das Geschäft mit dem Schwyzerörgeli aber so lange wie möglich weiterführen.
Der Filmemacher Bürgler ist alleiniger Inhaber der kulturwerk.ch GmbH, welche den Film produzierte und vertreibt. 2010 erschien dort der Kino-Dokumentarfilm «Syra Marty – Dächli Leni goes to Hollywood» (Buch und Regie: Roger Bürgler). Mit «Tönis Brautfahrt – Mit Senntenbauern über den Gotthard» (Regisseurin: Claudia Steiner) erschien im Frühjahr 2014 die zweite Kino-Dokumentarfilmproduktion.
FREMDFÖTZELIGE MUSIKANTEN ist nun der dritte Streich aus Bürgler’s Firma. Der Schwyzer bewies mit dem Kameramann Stefan Prohinig ein feines Händchen. Dieser setzte die vielen bunten Standorte gekonnt in Szene. Benno Kälin fungierte zudem als angenehmer Sprecher und erzählte einiges von dem gesammelten Hintergrundwissen.
Das musikalisch sehr wertvolle Filmdokument läuft seit gestern Donnerstag im Kino. Zu sehen ist es in nächster Zeit in folgenden Kinos: Eventkino Theater Arth, Cineboxx Einsiedeln, Kino MythenForum Schwyz, Kino Seehof Zug, Kino Treff Herisau, Kino Leuzinger Altdorf, Kino Seefeld Sarnen, Kino Royal Aarberg und Kulturschuppen Klosters. Die Daten, Zeiten und Orte können ab der Film-Homepage entnommen werden.
Roger Bürgler (Mitte) und seine Crew
Bildquelle: feldwaldwiesenblogger
Zum Schluss meines kurzen Rückblickes kann ich Roger Bürgler und seiner Crew nur ein grosses Kompliment aussprechen! Auf Facebook würde ich „Gefällt mir!“ anklicken. Ihnen, liebe Leser, empfehle ich diesen Film wärmstens. Denn dem Schwyzerörgeli als solches wurde scheinbar noch nie ein Film gewidmet. Dieses Instrument gehört zu unserem Land wie die Berge und Seen: Einzigartig, tiefgründig und voller Leben!
feldwaldwiesenblogger