Gespräch mit Pfarrer Toni Schmid, Teil 3

Beim Teil 2 meines Gespräches mit Pfarrer Toni Schmid ging es um die Frage „Wie lange Mission?“ Herr Schmid erzählte darin von seinem ersten Aufenthalt in Kolumbien und davon, dass er nicht nur betete und Messen abhielt.

Der umtriebige Pfarrer setzte sich für die Bauern in seiner Umgebung ein. Ja, er unterstützte sie dabei tatkräftig, einen Betrug eines Grossgrundbesitzers aufzudecken. Er ging mit Hilfe eines Juristen und einer wieder gefundenen Landurkunde vor Gericht. Vor dem Nationalgericht bekamen Pfarrer Toni Schmid und die Bauern Recht. Der „Landraub“ des Grossgrundbesitzers wurde aufgedeckt. Nach dem gewonnen Prozess musste Toni Schmid allerdings fliehen. Denn er wurde in den zwei grössten Zeitungen von Kolumbien als Unterstützer der Kommunisten hingestellt.

Schmid kehrte darauf in die Schweiz zurück, und war in der Folge zehn Jahre in der Stadt Luzern als Pfarrer in der Pfarrei St. Anna im Würzenbach tätig.

Beim heutigen Teil 3 geht es immer noch um die Frage „Wie lange Mission?“ Denn: Pfarrer Toni Schmid ging nach den besagten zehn Jahren in Luzern ein zweites Mal in die Mission nach Kolumbien.


(Bildquelle: feldwaldwiesenblogger)

Hier also nun Teil 3 des sehr interessanten und spannenden Gespräches mit Pfarrer Toni Schmid.

Pfarrer Toni Schmid: „Nach zehn Jahren bin ich wieder rüber gegangen, nach Kolumbien, mit einem anderen Pass. Ich ging in eine andere Gegend des Landes, wo mich niemand kannte.
Eine Mitarbeiterin blieb, denn sie war ja nicht bekannt. Nur ich war bekannt wegen der Prozess-Geschichte.

Ich konnte mich damals nirgends verstecken. Denn so etwas hat es noch nie gegeben, dass kleine Bauern einen Prozess gegen einen Grossgrundbesitzer gewannen, mit Hilfe des Padres.

Es gab in der gleichen Gegend einen Franziskaner, der musste auch fliehen. Er hatte nicht Geld wie ich, versuchte den Bauern aber trotzdem auch zu helfen. Man machte ihn deswegen auch zu einem Kommunisten. Wir trafen uns dann in Luzern wieder. Er ging später nach Spanien.

Ich war beim zweiten Kolumbienaufenthalt zehn Jahre tätig in Kolumbien, und wurde dann altershalber pensioniert.

Ich hatte glücklicherweise wieder Geld, weil ich halt bei den Gläubigen für meine Pfarrei in Kolumbien bettelte.

Meine Mitarbeiterin vom ersten Kolumbienaufenthalt, Emmi Arnold, bekam vom Bischof einen Auftrag in einer anderen Gegend, wo man sie auch nicht gekannt hat. Sie übernahm darauf eine kleine Schule, welche ein italienischer Pfarrer aufgebaut hatte.
Denn als dieser Pfarrer nach zehn Jahren ging, liess der Staat die Schule wieder schliessen. Grund: Für die Armen und Bauern brauche es keine Schulen. Der Bischof befand dann, dass das nicht richtig ist. Und weil Frau Arnold einmal Lehrerin und Katechetin war, schickte sie der Bischof dorthin, in den Norden von Kolumbien. Sie solle dort die Schule wieder öffnen.

Sie ging mit dem Geld in jene Gegend, welches ich gesammelt hatte und dort drüben liess, um die die Schule wieder zu öffnen. Sie zahlte die Lehrer auch aus diesem Geld. Es war eine Schule mit 150 Kindern, einem Kindergarten und einer Primarschule. Daneben gab es eine Kirche, ein Pfarrhaus, und ein Schwesternhaus.


(Bildquelle: aktion-kolumbienhilfe.de)

Die Kinder aus Emmi Arnolds wieder eröffneter Schule konnten allerdings beim Ende der Primarschulzeit nicht in die Sekundarschule. Weil sie arm waren, und in einem Aussenquartier des Dorfes wohnten, wo die Räuber und die Huren zuhause waren, beim sogenannten Abfall der Menschheit. Dort wohnten sie bei den Ärmsten, welche selber ihre Hütten bauten. Und da sie kein Geld hatten, konnten sie die Lehrer und den Rektor nicht mit Geld schmieren. Somit konnten ihre Kinder auch nicht in die Sekundarschule.

Emmi Arnold schrieb mir dann, ob ich nicht wieder Geld organisieren und rüber kommen könnte. Damit sie dort eine Sekundarschule bauen können. Da bin ich halt, wie gesagt, wieder rüber gegangen, und half mit, eine Sekundarschule aufzubauen.

Denn: Ich konnte nach den zehn Jahren nun wieder ohne Probleme nach Kolumbien. Anzumerken gilt die traurige Tatsache, dass an meiner ersten Wirkungsstätte einige Lehrer und Katecheten erschossen wurden. Einfach rein wegen der Verdächtigung, dass sie Kommunisten sein könnten, oder zumindest Sympathisanten. Es war quasi wie eine Rache nach der ganzen Geschichte.

Dorthin wäre ich nie mehr gegangen, um ja keinen Staub mehr aufzuwirbeln. Und weil die Menschen dort einfach auch Angst vor der Regierung hatten. Es hiess immer, die kleinen Leute und die Lehrer seien Kommunisten.

Im Land draussen wollte man deshalb keine Schulen. Nur in den Städten waren die Schulen erwünscht, welche die Reichen bezahlten. Die anderen Schulen wurden schlicht und einfach nicht gefördert.

1995 kam ich also wieder in Kolumbien an, mit der Absicht, die Sekundarschule in Frau Arnolds Pfarrei aufzubauen. Ich blieb erst aber ein Jahr in Catechena, machte dort Aushilfe und löste einen Immenseer Missionar ab. Ich half dort übrigens auch beim Bau eines Pfarrhauses mit.

Ich kam in Catechena mit den verschiedensten Menschen in Kontakt, so auch mit Negern, die in einem Aussenquartier wohnten. Weiter half ich auch bei der Katechese mit. Wir hatten es dort mit den schwarzen Leuten auch lustig. Diese waren ehemalige importierte Sklaven. Sie waren fröhliche Menschen, welche nicht viel hatten. Wenn sie aber etwas zu essen hatten, waren sie schon zufrieden. Das waren lebendige, grosse und schöne Leute. Denn man wollte früher nur gesunde und arbeitsame Sklaven.
Wir hatten zwei schwarze Katechetinnen. Was die miteinander gelacht hatten, war eine Lebensqualität sondergleichen.

Nach diesem einen Jahr ging ich dann zur Pfarrei von Emmi Arnold, mit der erwähnten Absicht, beim Aufbau der Sekundarschule mitzuhelfen.

Eines schönen Morgens, um 5 Uhr in der Früh, weckte uns jemand. 3000 Menschen kamen aufgebracht zu uns, und erzählten uns, dass eine Lehrerin, der Dorfvorsteher, ein Ladenbesitzer und noch einige andere erschossen worden sind. Und zwar in einem Dorf namens El Salado, welches auch zu meinem Einzugsgebiet gehörte.

Sie machten dort am Abend eine Versammlung auf dem Dorfplatz. Dabei wurden der Dorfvorsteher und zwei Lehrer angeklagt. Anklagepunkt: Sie seien bei der Guerilla.


(Friedensgespräche: Farc-Rebellen bitten Kolumbien um Waffenruhe / Bildquelle: zeit.de)

Hier eine kurze Erklärung: Man nannte diese Leute zu seiner Zeit schon nicht mehr Kommunisten, sondern eben Guerillos, die Bauernarmee Kolumbiens. Dies war nämlich die Nomenklatur der USA.
Man nimmt an, dass es in Kolumbien mehr als 6 Millionen vertriebene Bauern gibt, denen ihr Land gestohlen wurde. Diese sogenannte Bauernarmee existiert schon seit mehr als 50 Jahren. Die einen liessen sich auch bewaffnen, und zwar mit der Hilfe von Kuba und Russland. Sie wollten nichts anderes, als ihr Land verteidigen. Mit der Zeit wurde daraus dann tatsächlich eine Guerilla-Armee, die sogenannten Farc-Rebellen. Ich kenne die Geschichte dieser Farc natürlich gut, weil der Ursprung ja die Vertreibung der Bauern war.

Also, wir hatten bei uns eine Schulküche, wo wir für diese 3000 Menschen auch kochten. Diese aufgebrachten Menschen getrauten sich nämlich nicht mehr, zurück zu gehen.

In der Folge sagte ich „Lölli“ dem dortigen Lehrer leider, schreib doch auf, was in El Salado passiert sei. Mit dem Handgeschriebenen ging ich dann nach Catechena, zu dem oben erwähnten Immenseer Missionar, welcher bei den Negern stationiert war. Dieser hatte einen PC, und wir schrieben das Geschehene sauber auf Papier, um es faxen zu können. Übrigens, zu der Zeit schrieben wir das Jahr 1997.
Ich fand erst nirgends ein Faxgeräte, welches funktionierte. Da gab es in der Stadt ein französisches Hotel, zu welchem ich dann ging. Die hatten tatsächlich ein funktionierendes Faxgerät. Ich faxte Kopien von der erwähnten Tragödie an Amnesty London, EU Brüssel, Rotkreuz Genf, UNO-Hochkommissariat Genf und an den kolumbianischen Präsidenten.

Der Zufall wollte es, dass eine UNO-Kommission gerade im Land war. Nach zwei Tagen kamen die bereits zu uns.

Da ich das Schreiben mit meinem Namen unterschrieb, und unter anderem auch darin erwähnte, dass ich Zeugen habe, musste ich aus Sicherheitsgründen erst mal untertauchen.

In der Zwischenzeit untersuchte die UNO-Kommission den Zwischenfall, und kam zum Ergebnis, dass es ein Zusammenstoss zwischen der Guerilla und den Paramilitärs war. Dabei war das Paramilitär ins Dorf gekommen und hat die erwähnten Menschen erschossen. Sie waren zu der Zeit nämlich dabei, Säuberungen durchzuführen und vermutete Guerilla-Mitglieder zu erschiessen.

Die 3000 Menschen blieben dann bei uns. Ich hatte 50‘000 Franken zur Verfügung und kaufte Wellblech, Nägel, Dachlatten und Pfähle. Diese Leute bauten damit 300 provisorische Hütten. Wir gaben ihnen auch zu essen.

Unsere Sekundarschule, welche nun fertig gebaut war, musste jetzt auf einmal statt 150 deren 1000 Schüler unterrichten.
Übrigens: Da man wusste, dass der Padre kommt, veranlasste Frau Arnold vorher schon die Ausbildung von Sekundarlehrern.

Wir mussten improvisieren und deshalb an den verschiedensten Orten Unterricht durchführen. So auch in der Kirche und im Schulrestaurant. In der Primarschule wurden am Vormittag die Sekundarschüler unterrichtet, am Nachmittag die Primarschüler.

Die Regierung von Kolumbien schichte dann tatsächlich eine UNO-Kommission, um die Tragödie aufzuklären. Es kam dabei aus, dass hinter allem das Paramilitär steckte. Man wollte dann die Leute wieder zurück in ihr Dorf schicken. Einige gingen auch. El Salado war nämlich eines der Dörfer im Norden, in den Tropen, welches eine funktionierende Wasserversorgung mit Quelle hatte. Das war natürlich ein Reichtum sondergleichen.

Dann plötzlich wurde wieder ein anderes Dorf „angeschossen“, und zwar wieder wegen angeblichem „Landraub“. Es kamen darauf immer wieder Menschen von dort zu uns. Ich fragte sie, habt ihr Landurkunden. Man konnte sich solche Urkunden nämlich auch machen lassen. Eine hätte etwa hundert Schweizer Franken gekostet. Diese Bauern machten das natürlich nicht, weil schon ihre Väter und Vätersväter das Land besassen.»

feldwaldwiesenblogger

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