Illgau – Ein Dorf ist fast vollkommen von der Umwelt abgeschnitten

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Illgauer Tunnel
Bildquelle: margadant-ag.ch

Dass mit dem Illgauer Tunnel etwas geschehen muss, zeigt obiges Bild. Der Strassentunnel kurz vor dem Dorfeingang gleicht mehr einer Höhle als einem Tunnel, und ist dunkel und eng. Nun wird gehandelt, und es wird etwas Neues und Zeitgemässes gebaut.

Damit auch etwas Zeitgemässes entstehen kann, griffen die Dorfältesten von Illgau zu einer aussergewöhnlichen Massnahme: Die Totalsperrung der Strasse vom Grünenwald zum Dorf, und zwar vom 13. April bis 13. Juni.
Dies führt nun dazu, dass das Bergdorf fast vollkommen von der Aussenwelt abgeschnitten ist. Ich betone das Wort „fast“: Klar, es gibt noch die Holperpiste über die Ibergeregg, aber die zählt nicht wirklich als Strasse.
Der Neubau und die damit verbundene Strassensperrung ist aber auch eine Chance für unsere Nachbargemeinde.

Seit mittlerweile fünf Tagen ist unsere Nachbargemeinde, das beschauliche Illgau, fast vollkommen von der Umwelt abgeschnitten. Die feldwaldwiesenblogger-Redaktion hat sich deshalb entschlossen, das abgeschnittene Dorf zu besuchen und einen Lagebericht zu dieser Situation abzufassen.

Der Augenschein in der Sonnenstube zeigte ein sehr spezielles Bild: Nur noch pensionierte Einheimische und Mütter mit Kleinkindern im Dorf. Die Umsätze des Dorfrestaurants und des Dorfladens stiegen zudem in astronomische Höhen.
Uns wurde auch erzählt, dass man sich fühle wie zu Asterix und Obelix‘ Zeiten. Wie bitte? Ist Illgau auch umzingelt von Feinden…? „Nein, sicher nicht!“, wurde uns beteuert. Was diese Leute damit aber meinten, erfuhren wir erst, als wir das Vertrauen zu den Eingeborenen gewannen.
Im Folgenden gingen wir ganz behutsam vor und versuchten mit den Dorfbewohnern ins Gespräch zu kommen, sowie mehr über die ominöse „Obelix-Geschichte“ zu erfahren.

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Das berühmte Illgauer Seil
Bildquelle: bergbahnen.org

Morgens und abends wird nun rege „das Seil“ benutzt, denn die Illgauer kennen (noch) keine Seilbahn. Man fährt also durchs Seil runter und am Abend wieder durchs Seil hoch. Tief unten, beim Fluhhof, stehen nun haufenweise Autos herum. Ein Bote-Schreiberling bezeichnete diesen „Autofriedhof“ letzte Woche als den „Illgauer Bahnhof“. Von einer Bahn ist aber weit und breit nichts zu sehen. Nur ein Parkplatz voll mit Autos und das besagte „Seil“…

Beim Gang durchs Dorf trafen wir Seppätoni vom Oberen Gaden an. Er signalisierte, dass er mit uns sprechen würde. Bereitwillig gab er uns interessante Auskünfte. Als Erstes meinte er Pfeife rauchend: „Seit der Strassensperrung ist die Luftqualität massiv besser geworden. Es fahren kaum mehr Autos durchs Dorf, denn die befinden sich ja nun im Fluhhof unten. Die Herrschaft über die Strasse haben nun wieder die bäuerlichen Fahrzeuge, Velos und Töfflis. Auch werden wieder Ross und Wagen eingesetzt.“
Weiter ergänzte der rüstige Rentner: „Alles in allem ist das Leben langsamer geworden, so wie früher. Die Hektik ist von einem Tag auf den anderen wieder verschwunden. Man trifft auf keine Touristen mehr, die blöde Fragen stellen. Es hat auch keine verirrten Muotataler, Schwyzer oder sonstige fremden „Fötzel“ im Dorf. Es ist einfach nur schön.“

Kaum zu glauben, aber wahr. In Illgau hat die Strassensperrung zu einer vollkommenen Veränderung des Lebens geführt. Die Eingeborenen sind wieder untereinander, wie früher. Man hat wieder Zeit füreinander. Dem Schein nach fehlt es den Leuten an nichts.
Ein Blick in den Dorfladen zeigte nur leere Regale. Die Geschäftsführerin meinte schwitzend: „Die Strassensperrung ist ein Segen für uns. Die Leute kaufen wieder bei uns ein. Ja, sie hamstern richtiggehend. Bereits um 11 Uhr vormittags sind meine Regale leer.“ Auf die Frage nach Nachschub meinte sie: „Ich werde mir ab nächster Woche einen Helikopter mieten. Mit dem „Seil“ und über die „Holperpiste“ kann ich mich einfach nicht ausreichend genug eindecken. Die Wirtin vom Sigristenhaus macht übrigens auch mit. Sie hat das gleiche schöne Problem.“

Etwas später statteten wir dem Restaurant Sigristenhaus auch einen Besuch ab. Hier das umgekehrte Bild: Statt leere Regale, ein volles Gasthaus. Haufenweise Rentner am Jassen und viele Mütter am Spielen mit ihren Sirup-trinkenden Kindern. Von der arbeitenden Bevölkerung aber keine Spur. Eine rüstige Rentnerin erklärte uns: „Die gehen jeden Morgen brav ihrer Arbeit in Schwyz, im Muotatal oder sogar weiter weg nach. Dabei benutzen sie fast alle das Seil. Damit wir denen nicht die Seil- und Parkplätze streitig machen, verzichten wir bis nach dem 13. Juni auf Ausflüge. Stattdessen bleiben wir im Dorf, besuchen unser einziges Gasthaus und jassen jeden Tag um eine Meisterschaft.“
Auch hier trafen wir auf eine schwitzende Frau, die Wirtin: „Das ist bisher meine umsatzstärkste Woche. Wer kann, kommt. Eigentlich wunderbar, nur fehlt manchmal dies oder jenes, eigentlich ein Luxusproblem. Ab nächster Woche wird sich das mit dem extra gemieteten Helikopter ändern.“

illgau - dorf
Illgau
Bildquelle: illgau.ch

Wie auch immer: Der Bummel durch die autofreie Dorfstrasse liess auch mich und meine Redaktion Stress abbauen. Wir spürten den Frühling mit all unseren Sinnen. Statt hupende und surrende Autos fanden wir friedlich weidende Tiere auf den satt-grünen Wiesen, viel frische Luft und einfach nur Ruhe vor. So eine Strassensperrung täte eigentlich jedem Dorf gut.

Als Letztes wollten wir doch noch erfahren, was das Dorf Illgau mit demjenigen von Asterix und Obelix gemeinsam habe. Immer noch im Restaurant Sigristenhaus sitzend, kam plötzlich Seppätoni an unseren Tisch. Freudestrahlend ergriff er das Wort: „Ich habe gehört, dass ihr noch eine spezielle Frage habt. Ich bin genau der Richtige für eine Erklärung. Erst stopfe ich mir aber noch meine Pfeife.“ Voller Inbrunst begann Seppätoni seine Pfeife zu bearbeiten und mit frischem Tabak zu füllen.
Rauchend begann der weisshaarige Mann zu erzählen: „Also, das mit Asterix und Obelix geht folgendermassen. Es wird ja immer behauptet, dass die Bewohner von Ried-Muotathal runtergefallene Illgauer sind. An dem ist tatsächlich etwas Wahres daran. Die Geschichte spielte aber anders, als ihr im Tal unten meint.
Eines schönen Tages, vor vielen vielen Jahren, kochte unser damaliger Medizinmann einen wundervollen Trank. Der Zufall wollte es, dass Alex, der Sohn vom Medizinmann, mit seinem besten Freund Othmar in der Nähe des grossen Chessis am Spielen war. Das Chessi, ein riesiger Topf aus Metall, hing über dem Feuer, und sein Inhalt köchelte vor sich hin. Nur die alten Illgauer Geister wissen, was in diesem Topf war. Es muss ein kräfteverleihender Trank gewesen sein.“

Seppätoni legte eine kurze Pause ein, um den erloschenen Tabak in seiner Pfeife wieder zu entzünden.
„Alex und Othmar sprangen wie verrückt um das Chessi. Der kleinere und schlauere, Alex, forderte den dicklicheren und nicht sehr gescheiten Othmar heraus. Er rief ihm zu, dass er sich ja doch nicht getraue, auf den Topf zu klettern und mit einem Löffel ein bisschen von diesem Sud zu probieren. Othmar wollte das nicht auf sich sitzen lassen, und passte einen guten Augenblick ab. Als nämlich der Medizinmann kurz weg war, nahm Othmar kurzerhand eine in der Nähe stehende kleine Leiter, stellte sie an das Chessi und kletterte hinauf. Alex fand das aber nicht mehr lustig, und meinte, dass er doch nur Spass gemacht habe. Othmar liess sich aber nicht beirren und streckte bereits den Kopf in den Topf. Gerade als er mit einem Löffel etwas von dem streng riechenden Trank nehmen wollte, verlor er das Gleichgewicht und plumpste in das Chessi. Wild japsend und um sich schreiend tauchte Othmar wieder auf. Alex rief derweil so laut er konnte seinen Vater, den Medizinmann. Der kam so schnell er konnte, und erfasste mit einem Blick das Geschehen. Mit grossen Schritten eilte er zum Topf, packte Othmar und zog ihn aus dem Chessi.
Dieser schrie wie am Spiess und lief wie von der Tarantel gestochen davon. Alex und sein Vater hinterher. Wie von Sinnen rannte der übergewichtige Kleine. Alex konnte sich nicht entsinnen, ihn jemals so schnell und flink gesehen zu haben.
Othmar verschwand im Wald, hoch ob dem Fluhhof. Da passierte ihm plötzlich ein Missgeschick. Er verlor (wieder) sein Gleichgewicht, stolperte und fiel den steilen Abhang hinunter. Der runde Junge hatte Glück im Unglück und stiess an keinen Baum. Othmar rollte richtiggehend den Wald hinunter, nichts und niemand bremste ihn dabei. Nach ein paar Sekunden war die Rutschpartie vorbei, und der Knabe rollte unverletzt unten beim Fluhhof auf die Wiese. Auf jener befand sich just in dem Moment der Fluhhof-Bauer Toni. ‚Ein heruntergefallener Illgauer‘ soll der Bauer laut Überlieferung gerufen haben.
Dem kleinen Othmar hatte dieser Sturz keine einzige Schramme zugefügt. Es wird heute noch erzählt, dass der Medizinmann da wohl ein ganz besonderer Trank gebraut habe, welche dem Buben besondere Kräfte verlieh. Voller Scham habe der Medizinmann nach diesem Vorfall aber nie wieder ein Chessi angerührt und irgendein Gebräu gekocht. Im Dorf Illgau, das bekannt ist für seine phantasievollen Übernamen, nannten sie seitdem Othmar auch Obelix, und Alex, wie könnte es anders sein, Asterix.
Othmar zog einige Jahre später, als er erwachsen war, ins Ried hinunter und gründete dort eine Familie. Die Leute entsannen sich wieder des Vorfalles in seiner Kindheit und nannten ihn und seine Nachfahren von da an die heruntergefallenen Illgauer.“

Zum Schluss der Erzählung fügte Seppätoni noch mit funkelnden Augen an: „Seht ihr, nicht alle Riedter sind heruntergefallene Illgauer, nur die Nachfahren von Othmar, dem Obelix.“

Voller Eindrücke, tief beeindruckt und um eine Story reicher, fuhr die feldwaldwiesenblogger-Redaktion durchs Seil hinunter, zum Illgauer Bahnhof. Von dort ging’s schnurstracks an einen Computer, um den Lagebericht über das fast vollkommen abgeschnittene Illgau für die Nachwelt zu schreiben.

feldwaldwiesenblogger

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