Pirmin Reichmuth blickt selbstkritisch auf eine gute Saison zurück, er sagt aber auch: «Diese Leute haben selbst nie auf dem Platz gestanden, sie sollten etwas mehr Respekt für unsere Arbeit aufbringen.»

Der Innerschweizer Spitzenschwinger Pirmin Reichmuth hatte eine gute Saison, und fühlte sich nach dieser nicht ausgelaugt. Der 28-Jährige erlitt bereits vier Kreuzbandrisse und hat sich jedes Mal zurückgekämpft. Auch sonst steht er mit beiden Beinen fest im Leben: Im Frühling wurde der Zuger erstmals Vater und führt als selbstständiger Physiotherapeut mit einer Geschäftspartnerin eine Praxis. Im Gespräch mit dem Schwinger-Blog gibt Reichmuth Auskunft zur diesjährigen Saison und zu seinem angepassten Training. Zudem blickt er nach vorne und stellt sich zwei kritischen Aussagen.

Text: Schwinger-Blog

Pirmin Reichmuth blickt nach einer guten Saison gelassen auf die kommende Saison

Bild: pirminreichmuth.ch

Wie geht es dir?

«Sehr gut, ich fühle mich körperlich topfit. Ich habe nach dem Allweg-Schwinget eine Woche Pause eingelegt und bin bereits wieder voll am Trainieren.»

Kurz vor dem Unspunnen-Schwinget hast du in der Luzerner Zeitung erklärt: «Gegen Ende der Saison zwickt es bei mir überall.» Ist inzwischen wieder alles ausgeheilt?

«Ja, es ist alles auskuriert. Den Spitzenschwingern geht es eigentlich allen gleich. Der grosse Unterschied zu der Saison ist, dass man jetzt die Spannung und den Druck nicht hat. So kann man mit leichten Blessuren auch besser umgehen.»

Als Aussenstehender staunt man immer wieder darüber, wie du die Mehrfachbelastung Familie, neu gegründete Firma und Schwingen unter einen Hut bringst. Verrätst du uns, wie du das machst?

Piri grinst. «Wirkt das nach aussen wirklich so? Es ist meines Erachtens alles eine Ansichtssache. Natürlich war in diesem Frühling viel los. Meine Frau und ich wollten aber früh eine Familie gründen. Und ich wollte unbedingt eine eigene Firma aus dem Boden stampfen. Es ist alles eine Frage der Organisation und Einstellung. Mit einer kleinen Tochter zuhause bin ich aber gelassener geworden. Im Leben zählt für mich nicht nur das Schwingen, es gibt noch andere wichtige Dinge.»

Du bist ja bereits im Wintertraining. Wie sieht deine aktuelle Trainingswoche aus?

«Wie eingangs erwähnt, habe ich nach einer kurzen Pause Ende September wieder das Training aufgenommen. Jetzt holen wir uns das nötige Stehvermögen für die nächste Saison. Natürlich schiebe ich im Winter auch die eine oder andere Woche Ferien ein. Derzeit absolviere ich wöchentlich zwei Kraft- und drei Schwingtrainings. Wenn die Einheiten im Verlaufe des Winters intensiver werden, werde ich zur Schonung meines Knies drei Kraft- und zwei Schwingtrainings machen. Ich praktiziere «nur» fünf Trainings pro Woche, das reicht mir. Ich sage mir: lieber Qualität statt Quantität. Ich habe dies selbst lernen müssen. Und: dank meiner Trainingsmethodik habe ich das Gefühl, dass ich gegen Ende Saison immer noch genug Dampf habe.»

Wie hast du dich eigentlich nach der langen und kräftezehrenden Saison erholt?

«Ich ging für ein paar Tage mit meiner Familie ins Engadin. Übrigens: ich habe mich das erste Mal nach einer Saison nicht ausgelaugt gefühlt. Wie bereits erwähnt, legte ich nach dem Allweg-Schwinget eine Woche Pause ein. Ich hatte bereits nach der kurzen Zeit wieder viel Lust aufs Training. Und: gestartet habe ich wöchentlich mit drei Krafttrainings, dies bis Anfang November. Das war für mich gewissermassen auch Erholung.»

Pirmin Reichmuth gewann dieses Jahr zum ersten Mal den Rigi-Schwinget und zeigte hinterher grosse Emotionen

Bild: pirminreichmuth.ch

2023 war für dich eine starke Saison mit zwei Kranzfestsiegen, sechs Kränzen und verschiedenen Spitzenplatzierungen wie dem zweiten Platz beim Unspunnen-Schwinget. Wie ordnest du die diesjährige Saison ein?

«Der Rigi-Sieg war für mich wichtig. Dieser machte aus, dass es für mich eine gute Saison war. Es gab aber auch Schwingfeste wie das Zuger Kantonale, welche ich unnötig aus der Hand gab. Auf dem Brünig wäre zudem mehr drin gelegen. Bei den Anlässen anfangs Saison brauchte ich jeweils einen Moment, bis ich richtig im Schwingfest war. Das wurde im Verlaufe der Saison besser. Beim Unspunnen-Schwinget erreichte ich den sehr guten zweiten Rang. Meiner Meinung nach wäre sogar mehr drin gelegen. Das Ziel ist, noch konstanter zu werden. Zudem: Es wären mehr Kranzfestsiege möglich gewesen. Wegen Krankheit und einem Hexenschuss konnte ich nur zwei Kantonalschwingfeste bestreiten.»

Am Unspunnen-Schwinget hast du vermutlich das Optimum rausgeholt. Mit etwas mehr Glück wärst du gar im Schlussgang gestanden. Was meinst du, hättest du den entfesselten Samuel Giger an jenem Tag bezwingen können?

«Diese Frage habe ich inzwischen viel gehört. Man kann sie nicht beantworten, denn jeder Gang fängt bei null an. Natürlich hätte ich mir Chancen auf den Sieg ausgerechnet. Wir Spitzenschwinger brennen auf solche Gänge und ich hoffe, dass das Duell gegen Samuel Giger bald mal kommen wird.»

Man hörte nach dem Unspunnen-Schwinget da und dort: Wenn Pirmin Reichmuth mental auch einen anderen Weg beschreiten würde wie Giger, würden die sogenannten Patzer wie am Unspunnen, auf dem Brünig oder am letztjährigen ESAF in Pratteln ausbleiben. Was meinst du zu dieser gewagten Aussage?

«Für Giger ging es am ESAF in Pratteln nicht auf, am Unspunnen-Schwinget in Interlaken aber schon. Uns Schwinger interessieren solche Aussagen wenig. Diese Leute haben selbst nie auf dem Platz gestanden, sie sollten etwas mehr Respekt für unsere Arbeit aufbringen. Mit meinen vier erlittenen Kreuzbandrissen habe ich zudem eine andere Voraussetzung. Und: Ich arbeite im mentalen Bereich sehr viel. Am Unspunnen-Schwinget erlebte ich im dritten Gang aber einen mentalen Tiefpunkt. Ich raffte mich aber wieder auf. Es geht manchmal sehr schnell, und schon liegst du auf dem Rücken.»

Zum Innerschweizer Team: Fallen entweder Joel Wicki oder du aus, dann wird es an der Spitze dünn. Werden in nächster Zeit weitere Schwinger zu euch beiden aufschliessen? Bist du mit dem eingeschlagenen Weg von ISV-TK-Chef Stefan Muff zufrieden?

«Wir haben viele junge und hoffnungsvolle Talente. Ich kann aber nicht sagen, welche demnächst zur Spitze aufschliessen könnten. Junge Schwinger wie beispielsweise Michael Gwerder, Joel Ambühl oder Noe van Messel müssen einfach noch den berühmten Schritt machen. Für mich und Joel Wicki wäre es schon von Vorteil, wenn noch andere zur absoluten Spitze aufrücken würden. Stefan Muff macht das hervorragend. Er hat ein tolles Betreuer-Team, zu welchem unter anderem die ehemaligen Spitzenschwinger Martin Grab, Gregor Rohrer und Daniel Odermatt gehören, aufgebaut. Ich fühle mich in diesem ISV-Team sehr gut verstanden und aufgehoben.»

Zum Schluss: Mit vier überstandenen Kreuzbandrissen hast du deinem Körper schon einiges zugemutet. Sagt dein Ich als Physiotherapeut deinem anderen Ich als Spitzenschwinger nicht manchmal: «He Piri, du darfst deinen Körper nicht mehr ans Limit bewegen!»?

Piri lacht. «Dieses Ich sagt das jeden Tag, und stellt zudem kritische Fragen. Ich kenne dank meines Berufes als Physiotherapeut meine Situation bestens. Aus diesem Grund absolviere ich wöchentlich nur fünf Trainings. Das Feuer fürs Schwingen brennt aber immer noch sehr stark. Und ich möchte wegen verpasster Saisons noch einiges nachholen. Überdies habe ich nicht mehr so viele Chancen auf einen ganz grossen Sieg. Mein Athletik-Trainer Tommy Herzog und ich haben das genauestens analysiert. Wir haben uns trainingsmässig für einen schonenderen Weg entschieden und diesen habe ich nun eingeschlagen. Ich möchte nämlich nicht, dass mein Körper in einem oder zwei Jahren sagt: So, jetzt ist Schluss!»

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