Kürzlich führte ich ein längeres Sommerinterview mit dem Seitenwagen-Pilot Remo Inderbitzin. Der Muotathaler ist als Fahrer zugleich der Kopf des Sidecarcross-Teams Inderbitzin.
Die Saison 2015 läuft schon seit April und momentan steckt das Team mitten in der Saison. Zehn von zwanzig Seitenwagen-Rennen sind absolviert, zurzeit gönnen sie sich eine kurze Sommerpause.
Neben Remo gehört natürlich sein Beifahrer Stefan Forster zum Team, ebenso der Mechaniker Lars Ziegler. Weiter dürfen die drei auch auf die Hilfe von weiteren fleissigen Händen zurückgreifen. Zum Team gehören Martina Forster als Köchin und Berichterstatterin, Hugo Inderbitzin als Berater und Betreuer, Irene Inderbitzin sowie Thomas Forster und Corinne Betschart als fleissige Helfer. Jonas Marty, Gabriel Schelbert, Reto Räber und Iwan Suter amten als gelegentliche Wohnmobil-Chauffeure.
Remo Inderbitzin
Bildquelle: Martina Forster
Wie verlief die Saison bisher? Eine Zwischenbilanz? Seid ihr zufrieden?
„Ja, ich bin zufrieden. Es gab aber auf und ab‘s. Anfangs Saison hatten wir Schwierigkeiten mit dem Motorrad. Später bekundete Stefan Probleme mit seiner Hüfte. Wir dürfen nicht viel mehr erwarten, gerade wenn man mit den letzten Saisons vergleicht.
Kürzlich verschliefen wir wortwörtlich bei einem WM-Rennen in Genk (Belgien) das Qualifying. Eine Teilnahme war wegen 30 Sekunden zu spät kommen nicht mehr möglich. Im Hoffnungslauf durften wir starten, konnten uns dort aber leider nicht fürs Rennen qualifizieren. Diejenigen, welche sich nicht für das Rennen qualifizierten, konnten sich für ein Rennen der belgischen Meisterschaft einschreiben. Wir bestritten darauf das Zeittraining, bei welchem wir vierte wurden. Bei den anschliessenden Rennläufen feierten wir zwei Siege, welche ich nicht unbedingt erwartete. Es war für uns immerhin ein kleiner Trost, nahmen doch 42 Gespanne am Rennen teil.“
Ein Vergleich zur letzten Saison?
„Wir konnten uns stetig verbessern und schneller werden. Mit Stefan Forster, welcher seit dieser Saison mein Beifahrer ist, läuft es sehr gut. Wir ergänzen uns prima, sprechen viel miteinander und können gegenseitig voneinander profitieren.
Zudem wird meine körperliche Fitness und Kraft ständig besser und ich bin langsam in einem Bereich, welcher mir bis Rennende ein gutes Durchhaltevermögen verleiht. Früher fuhr gegen Schluss der Rennen wegen fehlender Kondition vielfach das Motorrad mit mir, und nicht umgekehrt.“
Hast du diese Saison etwas anderes gemacht als letzte Saison, beispielsweise eine andere Renn-Planung?
„Ich habe mich mit der Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft (DM) und der Weltmeisterschaft (WM) viel internationaler ausgerichtet. Die Renndistanzen sind jeweils eine halbe Stunde. Teilweise fährt man diese bis zu dreimal am Tag. Vorher fuhr ich in der Schweizer Meisterschaft mit, wo die Renndistanzen 20 Minuten betragen.
Bei den DM- und WM-Rennen fährt man mit den Besten mit und fährt auch auf anspruchsvolleren Pisten.
Zudem mache ich hinterher mit meinem Vater Video-Studium, um Läufe von mir und anderen Fahrern zu analysieren.“
Was lief bisher besonders gut?
In Tschechien konnten wir uns aus eigener Kraft für ein WM-Rennen qualifizieren. Dies bedeutete für mich ein Highlight. Ich war bisher sturzfrei unterwegs und das ganze Team passt gut zusammen.“
Was lief in dieser Saison bisher nicht so gut?
„Ein oder zwei technische Ausfälle mit dem Motorrad haben wir zu beklagen und bei zwei Rennen anfangs Saison lief es einfach nicht nach Wunsch. Anfangs Saison bekunde ich jeweils ein wenig Mühe, bis ich so richtig in die Gänge komme und die Routine und das Vertrauen wieder vorhanden sind.“
Welche Ziele habt ihr euch anfangs Saison gesteckt?
Unser Saisonziel ist es, sich bei der WM für die Rennläufe zu qualifizieren. Geplant ist, die Deutsche Meisterschaft und die Weltmeisterschaft zu fahren. An der DM fahren wir deshalb, um im Hinblick auf die WM Routine und Fahrpraxis zu erlangen.“
Wie viele Kilometer wart ihr diese Saison schon für eure Leidenschaft, das Sidecarcross-Fahren, unterwegs?
„Dies waren bisher etwa 7‘500 Kilometer, welche wir mit unserem Wohnmobil zurücklegten.“
Wie viele Rennen stehen noch auf dem Programm?
„Wir haben momentan Halbzeit, zehn von zwanzig Rennen sind absolviert.“
Wann hast du mit Motocross fahren begonnen?
„Ich fahre jetzt die vierte Saison Rennen, begonnen habe ich vor fünf Jahren mit 22 Jahren. Ich kaufte damals ein Seitenwagen-Motorrad.
Vorher fuhr ich ab und zu mit meinem Vater Trial-Töff, und nahm sogar einmal an einem Rasenrennen teil.“
Wieso eigentlich Seitenwagen-Cross?
„Wegen meinem Vater, welcher früher als Beifahrer auch Motocross-Rennen fuhr und mir davon erzählte. Ich sagte schon als kleiner Junge, dass ich irgendwann auch Seitenwagen fahren möchte.“
Nur Fliegen ist schöner!
Bildquelle: Facebook
Was ist eigentlich der besondere Reiz an dieser Sportart?
„Das Fahren macht den Reiz aus, auch wenn es streng ist und man dabei Dreck fressen muss. Die weiten Sprünge üben auch eine Faszination aus. Weiter die bereits erreichten Fortschritte, die ich machte und nun deshalb mehr und mehr möchte. Man will schneller sein, als der vor einem fahrende. Der ständige Reiz, der Beste zu sein.“
Die weiten und teilweise hohen Sprünge erfordern doch recht viel Mut. Das Sidecarcross-Fahren ist nichts für Angsthasen, oder?
„Ja, das ist wirklich so! Aber man muss sich an diese weiten Sprünge herantasten. Ich bin diesbezüglich eher vorsichtig, und springe nur, wenn ich weiss, dass es auch gelingen wird. Ich fahre eigentlich selten bis nie über mein Limit hinaus, um Stürze zu vermeiden.“
Wo und wie hast du das Handwerk dazu erlernt?
Das erste Mal fuhr ich in Italien, wo ich auch jetzt noch vor der Saison jeweils trainiere. Dort fand ich eine Cross-Piste mit grossen Sprüngen vor, über welche ich am Anfang nur darüber fuhr. Bei den nächsten Malen fuhr ich schneller und schneller, bis ich mich getraute, die Sprünge wirklich zu springen.
Im selben Jahr nahm ich im Herbst an einem Rasenrennen teil. Gegen Ende jener Saison stiess mein damaliger Passagier Pascal Brechbühl dazu. Über den kommenden Winter gingen wir viel nach Italien trainieren, und im Frühling nahm ich meine erste Saison mit Pascal in Angriff. Wir nahmen an der Schweizer Meisterschaft teil.“
Die wievielte Saison ist das für dich eigentlich schon?
„Ich bin nun in meiner vierten Saison. Drei Saisons lang war Pascal Brechbühl mein Passagier, seit dieser Saison ist es Stefan Forster.“
Zu den Beifahrern, den „Plampis“: Ist deren Motivation auch, irgendwann selber Pilot zu sein?
„Nicht unbedingt, die meisten Passagiere sind und bleiben Passagiere. Es gibt ganz wenige Ausnahmen, wo ein Plampi gezwungenermassen fahren muss. Man beginnt entweder als Fahrer oder als Passagier, und bleibt das auch. Man will auch als Plampi gut werden, Leistung zeigen und alles perfektionieren. Ein Wechsel zum Fahrer würde auch ein ‚Von vorne anfangen‘ bedeuten. Zudem steckt dahinter auch ein Ehrgefühl, die sowohl die Fahrer aber auch die Passagiere kennen. Die Fahrer und die Plampis stacheln sich dabei gegenseitig an, nehmen sich aber auch im positiven Sinne aufs Korn.
Früher machte in einem Gespann der Fahrer 60 Prozent und der Beifahrer 40 Prozent aus. Heutzutage ist es sogar etwa 50 zu 50 Prozent. Die Faszination als Plampi ist das Spielen mit dem Gleichgewicht und das Einwirken der Fliehkräfte. Zudem auch das feinfühlige Zusammenspiel mit dem Piloten. Während dem Rennen ist es eine stille Kommunikation zwischen Fahrer und Passagier. Der Fahrer konzentriert sich aufs Fahren, der Passagier gleicht das Gespann aus. Wichtig ist auch, dass sich ein Pilot und ein Plampi gut ergänzen, die Strecke gemeinsam besprechen und hinterher auch die Läufe analysieren.“
Remo, warst du auch schon „Plampi“?
„Bei einem Rennen war ich noch nie Plampi. Bei einem Abschlusstraining versuche ich mich aber gelegentlich als Passagier, damit man die andere Seite auch mal sieht.“
Wie sieht bei dir eine Woche während der Rennsaison aus?
„Am Montag nach der Arbeit das Motorrad reinigen. Am Dienstagabend ‚schrauben‘, das heisst das Gefährt auseinander nehmen und kontrollieren. Allenfalls muss der Motor gewechselt oder der Rahmen geschweisst werden. Eventuell braucht es dazu auch noch den Mittwochabend. Zudem versuche ich, einmal unter der Woche zu joggen.
Vielfach geht‘s bereits am Freitagmorgen mit dem Wohnmobil und dem Motorrad im Gepäck an den Rennort. Am Samstag findet das Qualifying statt und am Sonntag die Rennläufe. Am Sonntagabend erfolgt wieder die Heimreise.“
Von wann bis wann läuft die Saison jeweils?
„Im April beginnt die Rennsaison, welche bis Ende September läuft.“
Fahrer und Passagier müssen perfekt harmonieren
Bildquelle: Facebook
Wie sieht das Ganze finanziell aus? Wie gross ist euer jährliches Budget? Wie viel Geld steckt ihr selber rein?
„Das jährliche Budget mit allem Drum und Dran (inklusive den Anschaffungen) beträgt etwa 20‘000 bis 25‘000 Franken. Wir haben zurzeit etwa 6‘000 Franken an Sponsorengeldern. Ich stecke pro Jahr etwa 9‘000 Franken rein, Stefan gut 5‘000 Franken.“
Habt ihr schon viele Sponsoren? Wie geht ihr auf Sponsorensuche?
Remo lacht, und erklärt: „Zu wenig Sponsoren, wir haben derzeit deren acht. Auf Sponsorensuche gehen wir einerseits mit persönlicher Kontaktaufnahme. Andererseits mit Sponsorenbriefen, was leider nicht sehr effektiv ist. Es ist halt so, dass die grösseren Firmen vor allem den Breitensport und regionale Vereine unterstützen. Motorradsportler stehen bei diesen leider nicht so hoch im Kurs.“
Wie macht ihr auf euch aufmerksam?
„Unsere Sponsoren haben wir visuell auf dem Motorrad, dem Trikot und dem Wohnmobil gut sichtbar platziert. Weiter haben wir einen Facebook-Auftritt, wo wir regelmässig Rennberichte und Fotos aufschalten. Wir gestalteten auch einen Kalender mit Bildern von uns darauf. Zudem freuen wir uns über jeden Beitrag und jede Erwähnung im Bote der Urschweiz.“
Wie bereitest du dich körperlich und mental auf ein Rennen vor?
„Körperlich mit joggen, ein oder zwei Tage vor einem Rennen, um den Kreislauf anzukurbeln. Mental mache ich noch zu wenig, um das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu stärken.“
Wie bereitest du dich körperlich und mental auf die Saison vor?
„Kurt Bösch, welcher ausgebildeter Fitnesstrainer ist, erarbeitete mit mir zusammen einen Plan, damit ich als Saisonvorbereitung gezieltes Kraft- und Konditionstraining mache. Der Schwerpunkt des Trainings ist dabei auf den Oberkörper (Schulter- und Rückenbereich) sowie die Beine ausgerichtet. In dieser Zeit trainiere ich drei- bis viermal pro Woche.
Während der Saison halte ich mich mit joggen sowie velofahren fit, und gehe nur während einer längeren Pause in den Kraftkeller.“
Habt ihr auch Fans, die euch regelmässig an Rennen nachreisen und unterstützen?
„Nein, noch nicht. Es gibt Leute, die immer ans Rennen nach Muri AG kommen, um uns zu unterstützen. Das Team und die Familie sind immer dabei.“
Wie gross ist das Feuer, respektive wie lange möchtest du deinen Sport noch ausüben?
„So lange wie möglich und solange es die Zeit, das Geld und der Körper erlauben. Der Spass und die Freude sind nach wie vor vorhanden. Auch deshalb, weil ich Fortschritte und einen stetigen Aufwärtstrend erkenne. Es ist schliesslich auch nur ein Hobby. Ich will dabei meine Gesundheit mit etwas, das mir Freude bereitet, nicht riskieren.“
Hast du dir bereits Ziele für nächste Saison gesteckt?
„Im nächsten Winter baue ich mir ein neues Seitenwagen-Gefährt mit frischem Rahmen und frischem Motor. Dies wird sicher viel Zeit in Anspruch nehmen.“
Wann beginnst du mit der Planung für die neue Saison?
„Die Planung für die nächste Saison läuft schon. Die letzten Saisons war ich dabei immer zu spät. Die Vorbereitung muss rechtzeitig beginnen, damit man sich im Frühling voll auf die Rennen konzentrieren kann.“
Hast du zum Abschluss noch ein Wunsch oder irgendetwas, was du gerne noch im Zusammenhang mit dem Sidecarcross-Fahren loswerden möchtest?
„Generell prangere ich die mediale Präsenz an, welche sich beim Motocross-Sport leider nur spärlich zeigt. Wir haben beispielsweise in der Schweiz Solo-Motocrossfahrer, die bei WM-Läufen unter die ersten drei fahren. Diese Resultate nimmt man aber mangels Informationen fast nicht zur Kenntnis. Das Interesse in der Bevölkerung ist meines Erachtens vorhanden.
Vermutlich hat dies halt auch mit dem heutzutage grossen Öko-Bewusstsein zu tun. Deshalb bringt das Schweizer Fernsehen meist nur die Könige des Motorsportes, also die Formel 1 und die MotoGP, und die anderen Medien ziehen leider nach.“
Remo Inderbitzin und Stefan Forster
Bildquelle: Martina Forster
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Remo für das Beantworten meiner Fragen. Dabei gewährte er mir einen tiefen Einblick in eine Sportart, die ich diese Saison dank Remo und seinem Team näher kennen lernen durfte.
Der Grund, dass der Motocross-Sport eher ein Mauerblümchen-Dasein fristet, lieferte der leidenschaftliche Seitenwagen-Fahrer am Schluss gleich selber nach: Die mediale Präsenz konzentriert sich auf andere Sportarten. Zudem hat das Ganze auch mit einem ökologischen Bewusstsein zu tun, welche an vielen Orten Rennen verunmöglicht. Aber seien wir doch mal ehrlich: Ob es nun an ein Fussballspiel, an ein Eishockey-Spiel oder an ein Schwingfest geht: Die meisten Besucher bewegen sich mit einem abgasspendenden Auto an solche Anlässe. Das einzig einigermassen Ökologische dabei ist der vor Ort gezeigte Sport. Aber auch für diesen braucht es viel Energie: Man denke nur an die Unmengen von Elektrizität, die es braucht, um Eis zu erzeugen oder eine Flutlichtanlage rings um ein Fussballfeld brennen zu lassen.
Vielleicht besucht der eine oder andere mal ein Rennen vom Sidecarcross-Team Inderbitzin, welche auch hin und wieder in der Schweiz an den Start gehen. Der Fahrer und das Team würden sich um jede Unterstützung freuen.
feldwaldwiesenblogger