Der Kranzgewinn von Matthias Herger am ESAF in Pratteln basiert auf einem kleinen medizinischen Wunder

Matthias Herger darf sich seit dem 28. August Eidgenosse nennen. Für den Urner ist der Gewinn des Eidgenössischen Kranzes am ESAF in Pratteln die Krönung seiner bisherigen Karriere. Der Turnerschwinger schaffte damit nach einer schwierigen Saison mit einer längeren Verletzungspause eine kleine Sensation. Die Bilanz am «Eidgenössischen» sah nach sechs Gängen sehr gut aus: Vier Siege standen zwei Niederlagen gegenüber. Dann folgte im siebten Gang eine Niederlage gegen den Aargauer Neueidgenossen Tobias Widmer. Der Kranzgewinn hing nun an einem seidenen Faden, wurde Matthias im achten Gang doch der Berner Eidgenosse Remo Käser zugeteilt. Der Altdorfer aber schaffte das schier unmögliche, bezwang den Oberaargauer mit Gammen und gewann den begehrten Kranz. Ein unbeschreibliches Gefühl für ihn, nachdem er beim Schwyzer Kantonalen durch eine Knieverletzung gestoppt wurde, und die Saison dabei fast gelaufen schien. Der Kranzgewinn am ESAF basiert auf einem kleinen medizinischen Wunder. Aber der Reihe nach.

Text: Schwinger-Blog

Matthias Herger freut sich über seinen ersten Eidgenössischen Kranz

Bild: Barbara Loosli

Erster Kranzfestsieg am Zuger Kantonalen

Matthias startete optimal in die neue Saison und holte sich zusammen mit Joel Wicki den Co-Sieg am Zuger Kantonalen in Baar. Der erste Kranzfestsieg der Karriere war Tatsache, und 2022 hätte zum Jahr von ihm werden können. Das Schwyzer Kantonale in Muotathal zwei Wochen später wurde aber für den Neueidgenossen zum Verhängnis. Im ersten Gang bekam er es mit Joel Wicki zu tun. Der Kampf ging verloren, mehr noch: Der Urner humpelte vom Platz. Die anschliessende Diagnose war niederschmetternd: Das vordere Kreuzband gerissen, leichte Schäden am Meniskus sowie eine Impressionsfraktur am Oberschenkel. Der Sieger vom Zuger Kantonalen sagte damals dazu: «Die Schäden am Meniskus und die Impressionsfraktur benötigen eine Abheilzeit von sechs Wochen. Anschliessend müsste ich das Kreuzband operieren lassen. Erst warte ich diese sechs Wochen ab, dann schaue ich weiter.» Matthias gab dann zur Freude und Überraschung der Schwingerfreunde das Comeback am Bergschwinget Sörenberg. Mit vier Siegen und zwei Niederlagen durfte sich dieses sehen lassen. Die Hauptprobe fürs ESAF war geglückt und diesem stand nun nichts mehr im Wege. Dass es in Sörenberg so gut lief, war wohl auch für den Neueidgenossen eine Überraschung. Wie es aber zu diesem überraschenden Comeback kommen konnte, erklärt der Turnerschwinger im nachfolgenden Gespräch mit dem Schwinger-Blog.

Mitglied beim Schwingklub Bürglen

Das Geburtsdatum von Matthias, welcher aus Bürglen stammt, ist der 23. April 1995. Der 27-Jährige wohnt derzeit in Altdorf, ist ledig und weist mit seiner Grösse (183 Zentimeter) und seinem Gewicht (115 Kilogramm) ähnliche Masse auf wie der neue Schwingerkönig Joel Wicki. Der frisch gebackene Eidgenosse machte eine Berufslehre zum Landmaschinenmechaniker und absolvierte an der Hochschule Luzern eine Ausbildung zum Maschinenbauingenieur. Der Sportbegeisterte arbeitet nun Vollzeit in einem Job, wo er diese Berufsbildung einbringen kann. Die Zeit, die nebst dem Beruf und dem Schwingsport übrigbleibt, geniesst er mit seiner Freundin bei gemeinsamen Unternehmungen wie Wanderungen, Skifahren oder Skitouren. Zudem ist ihm das gemütliche Beisammensein mit seinen Kollegen wichtig. Der Turnerschwinger ist Mitglied beim Schwingklub Bürglen, welcher dem Urner Kantonalen Schwingerverband angehört. Matthias trainiert regelmässig mit seinen Urner Kollegen in der Schwinghalle in Attinghausen und absolviert im Frühjahr zusammen mit Innerschweizer Kollegen in einer Trainingsgruppe weitere Schwingtrainings. Im Winter wird fünf- bis sechsmal pro Woche trainiert, zusammengesetzt aus drei Schwingtrainings und drei Athletik-Trainings im Kraft- und Ausdauerbereich. Während der Saison trainiert er bis viermal: Zwei Schwingtrainings und zwei Athletik-Trainings stehen dann auf dem Programm. Dabei legt der trainingsfleissige Athlet auch grossen Wert auf genügend Erholungszeit.

Der 31. Kranzgewinn ist zugleich der erste Eidgenössische Kranz

Das am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest gewonnene Eichenlaub ist Kranz Nummer 31 für Matthias, und stellt sein bisheriges Karrieren-Highlight dar. Nebst dem Eidgenössischen Kranz gewann der Urner bisher 2 Berg-, 8 Teilverbands- und 20 Kantonalkränze. Zu seinen grössten Erfolgen zählt der gelernte Landmaschinenmechaniker aber auch der bereits erwähnte Kranzfestsieg am diesjährigen Zuger Kantonalschwingfest und zwei Regionalfestsiege im Kanton Uri. Die bevorzugten Schwünge sind der Kreuzgriff und der Kurz. Wirklich fokussiert schwingt der Maschinenbauingenieur seit seinem 16. Lebensjahr. Vorher besuchte er ab und zu ein Schwingtraining, auch im Rahmen des Nationalturnens, und nahm als Jungschwinger an zwei Schwingfesten teil.

Matthias Herger humpelte am Schwyzer Kantonalen nach dem ersten Gang vom Platz. Die anschliessende Diagnose Kreuzbandriss bedeutete für ihn eigentlich Saisonende…

Bild: KEYSTONE/Urs Flüeler

Herzliche Gratulation zum Eidgenössischen Kranz! Was für Gedanken begleiteten dich bei der Krönung?

«Es war absolut gigantisch und die Stimmung war einfach grandios. Fast alle Innerschweizer waren bei der Krönung noch auf der Tribüne und ich habe mich riesig gefreut, vor die Ehrendamen treten zu dürfen.»

Wie lief der für dich alles entscheidende achte Gang gegen Eidgenosse Remo Käser ab?

«Drei Wochen vorher verlor ich gegen ihn beim Bergschwinget Sörenberg. Ich habe mich deshalb vor dem Gang gut konzentriert und fokussiert, und ging mit Ruhe und Anspannung auf den Platz. Ich wusste, dass er sofort angreifen wird. Ich wehrte seine ersten Angriffe ab und wartete auf meine Chance. Nach etwa zwei Minuten konnte ich einen gewinnbringenden Gammen ansetzen.»

Hast du mit deiner Verletzungsgeschichte eigentlich mit diesem Kranzgewinn gerechnet? Wie war dein Gefühl vor dem ESAF?

«Wirklich damit gerechnet habe ich nicht, ich habe aber an mein Ziel geglaubt. Das Gefühl vor dem ESAF war gut. Ich konnte überdies erholt und ohne Blessuren antreten, auch mit der nötigen Wettkampf- und Trainingserfahrung.»

An wie vielen Einzügen hast du seit dem ESAF teilgenommen?

«Ich nahm nebst meinem Einzug auch an denjenigen meiner Innerschweizer Kollegen teil. Am Dienstagabend war ich bei Joel Ambühl’s Einzug, am Mittwochabend am Empfang in Sörenberg für Schwingerkönig Joel Wicki. Am Donnerstagabend war ich beim Einzug von Jonas Burch zugegen und am Freitagabend war mein eigener Einzug in Bürglen.»

Die Urner müssen sehr stolz auf dich sein, dass nach Andi Imhof sich wieder ein Tellen-Sohn Eidgenosse nennen darf.

«Ich wurde sehr herzlich in Bürglen empfangen. Ich kannte praktisch alle Anwesenden und hatte eine Riesenfreude an den Gratulationen und Reaktionen von ihnen.»

Der Moment der Entscheidung am ESAF in Pratteln: Matthias Herger bezwang im 8. Gang Remo Käser mit einem Gammen

Bild: David Zurfluh

Kurzer Rückblick: Wie ging es nach der Knieverletzung am Schwyzer Kantonalen weiter? 

«Nach der Diagnose Kreuzbandriss war für mich die Saison gelaufen. Ich habe es akzeptiert und mich damit abgefunden. Der Plan war, erst die Abheilzeit der Impressionsfraktur am Oberschenkel abzuwarten. Kurz nach dem «Innerschweizerischen» wurde ein MRI gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass nicht nur diese Fraktur verheilt war, sondern auch mein Kreuzband wieder zusammengewachsen war. Wider Erwarten gab mir mein Arzt grünes Licht, und ich konnte ab Ende Juli wieder das Schwingtraining aufnehmen. Das Athletiktraining für meinen Oberkörper habe ich gar nie unterbrochen und war darum körperlich bereit. Ich verspürte beim Schwingtraining fast keine Beschwerden. Das Vertrauen in mein Knie nahm von Training zu Training zu und beim Bergschwinget Sörenberg spürte ich, dass ich am ESAF teilnehmen kann.»

Das gleicht fast einem medizinischen Wunder?

«Man könnte dem fast so sagen. Es lässt sich sicher irgendwie erklären, dafür müsste man aber einen Arzt fragen.»

Ist eine Kreuzband-Operation also kein Thema mehr?

«In drei Wochen wird ein weiteres MRI gemacht. Dann wird sich definitiv entscheiden, ob das noch ein Thema bleiben wird.»

Konntest du am «Eidgenössischen» ohne Beschwerden schwingen? 

«Ja. In gewissen Situationen wie nach einem Kurzzug des Gegners spürte ich beim Auftreten einen kurzen Druck auf dem Knie. Ansonsten spürte ich nichts. Ich konnte am ESAF mein Knie sehr gut ausblenden. Ich war zudem gesund und mein Körper war erholt. Vorgenommen hatte ich mir, acht Gänge zu absolvieren und den Wettkampf verletzungsfrei zu beenden, damit ich gesund die Vorbereitung für die neue Saison bestreiten kann. Und: Ich hatte auch nach dem ESAF keine Beschwerden.»

Wirst du 2022 noch an Schwingfesten teilnehmen?

«Ich überlegte mir erst, ebenfalls am Tessiner Kantonalen zu starten. Ich entschied mich aber dagegen und beschloss, die Saison zu beenden. Ich habe trotz allem mit dem Kranzfestsieg und dem Eidgenössischen Kranz zwei schöne Ziele in dieser Saison erreicht. Mein Entschluss basiert darauf, dass ich nun alles abheilen lassen möchte und nichts mehr riskiere. Ich widme mich dann anschliessend einem intensiven Aufbau. Denn ich bin mit diesem Bein kraftmässig noch nicht dort, wo ich vorher war. Aber: Ich werde beim Tessiner Kantonalen trotzdem vor Ort sein. Ich will mir das letzte Schwingfest von Andi Imhof nicht entgehen lassen.»

Übrigens: Hast du vor dieser Saison etwas an deinem Training und Aufbau verändert, dass du mit dem Sieg am Zuger Kantonalen so stark in die Saison gestartet bist und 2022 mit dem Eidgenössischen Kranz gekrönt hast?

«2021 habe ich meinen Trainingsaufbau verändert. Mit einem Trainer habe ich gezielt am Athletikaufbau gearbeitet und zusammen mit einer Trainingsgruppe zusätzliche Schwingtrainings absolviert. Ich war darum noch nie so fit und schnellkräftig wie diesen Frühling. Dieser Trainingsaufbau hatte für mich nur Vorteile.»

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