Gespräch mit Albrecht Siegenthaler, dem Archivar des Eidgenössischen Schwingerverbandes

Im vorletzten Blogbeitrag erwähnte ich meinen Besuch im Archiv des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Empfangen wurde ich dort von Albrecht Siegenthaler, dem Archivar. Nebst der Konkretisierung meines Unterfangens mit dem geschichtlichen Einblick in die alten Schwinger-Zeitungen, erzählte mir Siegenthaler viel Wissenswertes und Interessantes von seinem ehrenamtlichen Job.

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Albrecht Siegenthaler im Archiv des Eidgenössischen Schwingerverbandes
Bildquelle: feldwaldwiesenblogger

„Diese Aufgabe habe ich 1999 von meinem Vorgänger Hansueli Eichenberger übernommen. Ich gelte als ehrenamtlicher Funktionär mit Auftrag vom Eidgenössischen Schwingerverband. Eichenberger, von Langnau im Emmental, machte diese Tätigkeit zuvor während 31 Jahren.“

„Früher war das ESV-Archiv in der Stadt Bern. Irgendwann hat der damalige ESV-Obmann, der Urner Hans Gisler, Hans Eichenberger den Auftrag gegeben, hier in Langnau um Platz für eine Eidgenössische Schwingerstube und für ein Archiv zu schauen. Hans Eichenberger war selber auch ein grosser Schwingerfreund und übergab später an seinen Sohn Hansueli.“

Das Archiv war anfangs in einer Bank
„Das Archiv war anfangs in einer Bank untergebracht. Viele Sachen wurden aber auch im Estrich des Hotels Ilfisbrücke gelagert. Im Hotel Ilfisbrücke, welches sich hier in Langnau befindet, war damals die Eidgenössische Schwingerstube untergebracht.
1993 brachte man die abgelegten Unterlagen von der Bank hierher. Seit 22 Jahren befindet sich das ESV-Archiv nun in diesem Langnauer Keller.“

„Zur Hauptsache archiviere ich hier drin Unterlagen vom ESV. Das sind vor allem Protokolle von den Hauptabgeordneten-Versammlungen und Abrechnungen. Ab und zu kommen auch Chroniken von Schwingklubs und Unterverbänden zum Archivieren. Weiter lege ich die einzelnen Schwingerzeitungen ab. Von früher sind ebenfalls Briefe von Unterverbänden an den ESV abgelegt.
Ich darf nun zu diesen Sachen schauen. Und wenn jemand etwas wissen möchte, suche ich die Sachen heraus, und zeige es den Interessierten.“

„Ich arbeite jedes Jahr um die 50 Stunden im Archiv. Als Dank bekomme ich an den Eidgenössischen Anlässen ein Gratis-Billett und an den Eidgenössischen Schwingfesten die Übernachtung und die Verpflegung bezahlt. Das reicht mir.“

„Ich habe eine Bestandes-Liste, was alles abgelegt ist. Darin ist alles aufgeführt, was sich hier befindet, und in welcher Archivschachtel es zu finden ist. In den verschiedenen Archivschachteln sind die Dokumente in Mappen abgelegt. Es werden neuerdings auch Dokumente elektronisch archiviert, aber noch ganz wenig.“

Schwingfestberichte der Vaterländischen Feste in Unspunnen 1805/08
Im Archiv findet man auch die „Schwingfestberichte der Vaterländischen Feste in Unspunnen 1805/08“, von Hand mit schöner alter Schrift in blaue Hefte geschrieben. Diese Schrift verdient neben dem Schönschwinger-Preis auch den Schönschreibe-Preis!

schwingfestberichte unspunnen-feste 1805+1808
Bildquelle: ESV-Archiv/feldwaldwiesenblogger

Weiter sind auch Dokumente unter „Streit- und Disziplinarfälle“ archiviert. Laut Siegenthaler waren einige Schwingerkönige mit solchen Fällen konfrontiert. In den Unterlagen sind beispielsweise der Fall der Gebrüder Roth, der Fall Vogt, der Fall Hunsperger, der Fall Schläpfer oder der Fall Knüsel abgelegt.

Der Fall Hunsperger wurde publik, weil dieser im Jahr 1976 als dreifacher Schwingerkönig mit einem Bären werbewirksam auf einem Kreuzfahrtschiff geschwungen hat. Der Reinerlös aus diesem Event ging an eine Behinderten-Institution. Der damalige Obmann, der Berner Ernst Marty, und Rudolf Hunsperger waren nie Freunde. Diese „Bären-Aktion“ war für Marty ein richtiges „Zückerchen“, um „Rüedu“ mit einem Disziplinarverfahren abzustrafen. Hunsperger wurde in der Folge um ein Jahr gesperrt. Dieser trat aber gleich vom Aktivsport zurück.
SRG wollte den Schwingerkönig 1977 als Reporter fürs Eidgenössische in Basel engagieren. Auch das wurde ihm verwehrt. Laut Albrecht Siegenthaler war diese ganze Sache aber mehr ein persönliches „Gschtürm“ zwischen Ernst Marty und Rudolf Hunsperger. Hunsperger’s Aktion war gedacht als guter Zweck, Marty tat es aber als Werbeaktion ab.
Marty selber war ein Grossbauer und hatte einen Bührer-Traktor, mit welchem er überall gut sichtbar auftrat. Viele Zeitgenossen meinten damals, dass dies die grössere Werbe-Aktion war als Hunspergers Gag auf dem Kreuzfahrtschiff.

47 Bananen-Kisten mit Material
„Früher wurden alle Unterlagen ohne Registratur gelagert. Ich habe irgendwann 47 Bananen-Kisten mit Material nach Bern zu der Firma AfA Archiv GmbH gebracht. Diese spezialisierte Firma machte für uns die Archivierung der Unterlagen. Sie stellten dabei fest, dass verschiedene Dokumente mehrfach vorhanden sind. Dannzumal war Ernst Schläpfer ESV-Obmann. Schläpfer meinte, wenn du Platz hast, wirf nichts weg.
Die Unterlagen, die mehrfach vorhanden sind, sortierte die Firma aus. Diese lagere ich nun hier in einem separaten Schrank. Denn es wäre schade, diese Dinge zu entsorgen. Seit damals haben wir nun eine sehr gute Ordnung in den Unterlagen.“

Die archivierten Unterlagen befinden sich derzeit in etwa 130 Archivschachteln. Das Archiv ist feuersicher und trocken. Siegenthaler hat eine saubere Ordnung in den nicht sehr grossen Raum gebracht.

Auf die Frage, wer alles nach Unterlagen fragt, meinte Albrecht Siegenthaler: „Vor allem, wenn ein Verband bald ein Jubiläum feiert und deshalb nach Details oder Auskünften für eine Chronik sucht. Dabei fotografieren die Fragenden meist mit ihren Handys die entsprechenden Seiten. Vielfach wird in alten Schwingerzeitungen nachgeschaut. Dort ist wirklich alles drin. In den letzten Jahren sind auch öfters junge Leute gekommen. Meist Studenten, welche Unterlagen für eine Arbeit, welche das Schwingen oder die Geschichte thematisieren, suchten.
Viele Leute rufen mich auch an und fragen nach Unterlagen. Ich suche diese Sachen dann heraus, kopiere sie und schicke sie ihnen.“

Niklaus Roth, der schwerste Schwinger der ESV-Geschichte
Einmal kamen sogar Leute aus Deutschland zu Siegenthaler ins Archiv. „1919 und 1921 Jahren war Robert Roth Schwingerkönig geworden, 1929 und 1931 sein Bruder Hans Roth. Die beiden hatten noch einen Bruder, Niklaus Roth. Dieser war einmal Zweiter an einem Eidgenössischen. Niklaus war übrigens mit 175 Kilogramm der schwerste Schwinger der ESV-Geschichte. Eine junge Frau kam mit ihrer Mutter extra aus Deutschland. Die beiden suchten hier Unterlagen über besagten Niklaus Roth. Sie waren direkte Nachkommen von ihm.“

2020 wird der ESV 125-jährig. Der Archivar aus Schangnau vermutet, dass in nächster Zeit einige Leute aktiv werden, und im ESV-Archiv Nachforschungen für eine umfassende Chronik anstellen werden.

Christian Reber aus Schangnau
christian rebers kranzkasten
Bildquelle: ESV-Archiv/feldwaldwiesenblogger

Nebst den 130 Archivschachteln befindet sich auch ein kleiner Kranzkasten im ESV-Archiv. Im Kranzkasten befinden sich Christian Rebers vier erschwungene Kränze: Der Eidgenössische Kranz von Zürich (1911), der Brünig-Kranz von 1910, ein Kranz von einem Bernisch Kantonalen und ein Kranz von einem Schwing- und Älplerfest in Kriens.
Der Kranzkasten gehört Verwandten des längst verstorbenen Schwingers. Sie fragten Siebenthaler, ob sie diesen Kranzkasten hier lagern dürfen.

Christian Reber hatte 1911 am Eidgenössischen in Zürich seinen Kranz schon im siebten Gang auf sicher. Im letzten Gang verletzte sich der Schangnauer schwer und brach sich die Wirbelsäule. Reber wurde ins Neumünster Spital eingeliefert und der erst 22-jährige verstarb einen Tag später, am 1. August 1911. Dieses tragische Unglück brachte dem Emmentalischen Schwingerverband grosses Leid.

In Schangnau befindet sich ein Gedenkstein, welcher seinerzeit der Eidgenössische Schwingerverband spendete. Christian Reber ist darauf abgebildet. 2011 erinnerte Albrecht Siegenthaler den Obmann Ernst Schläpfer, dass vor genau 100 Jahren Christian Reber nach dem Eidgenössischen tragisch gestorben sei. Der ESV organisierte eine Feier, lud die Verwandten von Reber, den Zentralvorstand und die Leute vom ortsansässigen Schwingklub ein. Gut 50 Personen waren anwesend und lauschten bei einer ergreifenden Feier den Worten von Niklaus Gasser, Ernst Schläpfer und Albrecht Siegenthaler.

Im Langnauer Keller lagert ein weiteres Erinnerungsstück an Christian Reber: Eine mehr als hundert jährige Holzkiste. Reber füllte Sand in diese noch gut erhaltene Kiste und machte mit ihr Kraftübungen.

christian rebers holzkiste
Bildquelle: ESV-Archiv/feldwaldwiesenblogger

feldwaldwiesenblogger

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