Heinrich «Harry» Knüsel – Schwingerkönig 1986 in Sion

Es ist eigentlich unglaublich, aber trotzdem wahr: Die Innerschweizer als grösster Teilverband erkämpften sich bisher erst einmal die höchste Weihe im Schwingsport, den Schwingerkönigs-Titel. Diesen Kraftakt gelang 1986 Heinrich «Harry» Knüsel beim Eidgenössischen in Sion.
Bevor die Eidgenössische Saison anfangs Mai mit den Kranzfesten so richtig lanciert wird, blicken wir nochmals ins Eidgenössische Jahr 1986 zurück. Simon Gerber und Hans Trachsel skizzierten damals ein gelungenes Porträt von Schwingerkönig «Harry» Knüsel.

Quelle: Schwingergestalten unserer Zeit III (1986) / Bearbeitung: feldwaldwiesenblogger

Der Funke hat noch rechtzeitig gezündet — und wie!
Es ist für den Leser bestimmt reizvoll zu sehen, wie unser Porträt von Heinrich «Harry» Knüsel vor der Erringung seines Schwingerkönigstitels und vor seinem Brünigsieg 1986 ausgesehen hat. Sie können es nachstehend lesen. Nach Sitten haben wir es mit einem Anhang versehen. Mit 15 Jahren wollte Heinrich Knüsel Schwinger werden. Er meldete sich beim Schwingklub Cham-Ennetsee. Das Talent war unverkennbar, eine erfolgreiche Laufbahn schien möglich. Dann kam es anders. Der Jüngling konnte sich für diese Sportart nicht begeistern. Nach einem Jahr meldete er sich bei seinen Trainingskameraden bereits wieder ab. Zwei Jahre später kehrte er aus eigener Initiative in den Sägemehlring zurück. Der Funke hat noch rechtzeitig gezündet. Der Sennenschwinger ist gross und kräftig. Die Grundvoraussetzungen zum Klasseschwinger hat Mutter Natur dem Abtwiler auf den Lebensweg gegeben. Doch, dass er heute zu den besten Innerschweizern gehört, verdankt er nicht nur den körperlichen Idealmassen. Mit Leo Betschart und Josef Burch fand er Lehrmeister, die seine Karriere stark beeinflusst haben. «Harry ist sehr trainingsfleissig. In der letzten Zeit hat er viel an sich gearbeitet», stellt ihm Leo Betschart ein gutes Zeugnis aus.


«Harry» Knüsel bei der Arbeit als Betonelemente-Monteur

1983 am «Innerschweizerischen» erstmals für Aufsehen gesorgt
Erstmals für Aufsehen sorgte der gebürtige Luzerner beim Innerschweizer Schwingfest 1983 in Ruswil mit dem Vordringen in den Schlussgang. Dieser ging zugunsten seines Gegners, Peter Schelbert II, aus.
Wenige Wochen später zeigte der Krauskopf am Eidgenössischen Schwingfest in Langenthal abermals eine starke Leistung. Nach dem ersten Tag sah die Bilanz mit drei Siegen und einer Niederlage vielversprechend aus. «Am Sonntag hatte ich drei Mal Gelegenheit, um den Kranz kämpfen zu können. Die Begegnungen gegen Armin Thomi, Fritz Rietberger und Jakob Durand gingen verloren. Ich war nicht gewohnt, an zwei Tagen zu schwingen», analysierte er.
Heinrich Knüsel machte in den letzten drei Jahren kontinuierlich Fortschritte. Die Verbesserung ist die Summe von mehr Erfahrung, taktischer Reife und Verbesserung der Technik. 1984 wurde er Dritter auf dem Stoos und dank vier Maximalnoten auf der Rigi gar Zweiter. Eine hervorragende Saison, welche im Sieg beim Zuger Kantonalfest und den Ehrenplätzen auf dem Brünig, Stoos und Allweg gipfelten, brachte er auch 1985 hinter sich.

Bitterste Stunde am «Innerschweizerischen» 1985
Seine bitterste Stunde erlebte er beim Innerschweizer Schwingfest 1985 in Flüelen. Nach der Niederlage im letzten Durchgang gegen den Nichtkranzer Thomas Stöckli blieb er ohne Kranz. Das Schwingen spielt eine wichtige Rolle im Leben von Heinrich Knüsel. Er nimmt sich aber auch Zeit für anderes wie Skifahren, Jassen oder Festen, womit angetönt wäre, dass er durchaus eine gesellige Ader hat. Der Bauernsohn ist zusammen mit einer Schwester und drei Brüdern aufgewachsen. Wie sein Vater liess er sich zum Landwirt ausbilden. Seit 1982 ist er jedoch als Betonelemente-Monteur tätig. Der Anhänger von deutschen Schlagern und Volkstümlichem hat keine besonderen Zukunftspläne: «Das Wichtigste ist die Gesundheit. Alles andere ergibt sich dann», schreibt er.

1986 gings steil bergauf
Im Winter nahm er neben den drei Standschwüngen Kurz, Lätz und Gammen, welche ihm meistens die Maximalnote einbringen, den Wyberhaken in das Repertoire auf. Diese Waffe scheint ihre Wirkung bei der Konkurrenz nicht zu verfehlen. Beim Stoos-Schwinget erreichte Heinrich Knüsel die Endausmarchung. Nach einem hochstehenden Schlussgang gegen den Berner Niklaus Gasser musste er sich erst in der letzten Minute geschlagen geben.
Der erste grosse Sieg liess nicht mehr lange auf sich warten. Beim verregneten Innerschweizer Schwingfest in Einsiedeln war es soweit. Dank fünf Maximalnoten gegen Adelbert Gisler, Heinz Vogel, Walter Wyrsch, Martin Odermatt und Josef Suter konnte sich der Schönschwinger im Schlussgang gegen den Luzerner Urs Grüter gar ein Unentschieden leisten. Der Sieg und der Muni gehörten ihm.
Eine respektable Karriere, die aber bestimmt ihre Fortsetzung finden wird, wenn Knüsel seine sportlichen Ziele mit einer gesunden Einstellung und dem nötigen Ehrgeiz weiterverfolgt. Das Eidgenössische Schwingfest in Sitten ist für den jungen Athleten eine wichtige Station. Von Unfällen blieb er bisher verschont.


Der frisch gekürte Schwingerkönig mit dem Siegerpreis, der Kampfkuh «Prune»

Etwas überraschend, aber absolut verdient Schwingerkönig geworden
Etwas überraschend, aber absolut verdient, ist Heinrich Knüsel Schwingerkönig geworden. Wie zwanzig Jahre vor ihm Ruedi Hunsperger hat «Harry», wie er seit dem 24. August 1986 in der ganzen Schweiz genannt wird, den amtierenden König mit dem Sieg im Schlussgang vom Thron gestossen, und am dritten Königstitel in ununterbrochener Reihenfolge gehindert. Ruhig stellte er sich nach seinem Husarenstreich dem Rummel, der um ihn entfacht wurde. Wie schaffte es «Harry» überhaupt, in die Endausmarchung vorzustossen? Mit einer Ausnahme bezwang er lauter Gegner, die am Sonntag den Kranz eroberten.
Am Samstag begann Knüsel mit einem Sieg durch Wyberhaken gegen Jörg Schneider, ehe er von Schläpfer die einzige Niederlage durch Brienzer kassierte. Plattwürfe gegen Andreas Schätti (Im ersten Zug mit Wyberhaken) und Hanspeter Rufer (Gammen nach vier Minuten) liessen Knüsel in den vordersten Positionen bleiben. Während Ernst Schläpfer am Sonntag wertvolle Punkte abgeben musste, eilte «Harry» von Sieg zu Sieg. Er fällte Lothar Herrsche nach kurzer Zeit mit Lätz, wandte gegen Urs Geissbühler eine Kreuzgriff-Lätz-Kombination an und liess dem starken Berner Johann Santschi mit Lätz keine Chance. Offensichtlich frisch und unbeschwert trat er zum Schlussgang an, für den er sich geschworen hatte, nicht nochmals zu verlieren wie im zweiten Gang. Als es Schläpfer dann nach sechs Minuten prompt nochmals mit Brienzer versuchte, war «Harry» auf der Hut, konterte glänzend und brachte Schläpfer die erste und einzige Niederlage der Saison 1986 bei.
Schläpfer hat mit dieser einen Niederlage wahrhaftig viel verloren, sein Bezwinger umso mehr gewonnen. Die Begeisterung der Innerschweizer über ihren ersten König war riesengross. Auch die übrige Schweiz stimmte in den Jubel ein. «Harry» ist zwar in Abtwil im aargauischen Freiamt wohnhaft, jedoch gebürtig von Meierskappel LU, und er liess denn auch nie Zweifel aufkommen, dass er den Titel für die Innerschweiz geholt habe. Ein schöneres Geschenk hätte er dem Schwingklub Cham-Ennetsee zum 25jährigen Jubiläum wirklich nicht bescheren können. Eigentlich war er «nur» mit dem Vorsatz, einen guten Kranzrang zu schaffen, nach Sitten gegangen.


Schwingerkönig «Harry» Knüsel beim Empfang in Cham

«Tagesschau»-Moderatorin aus dem Häuschen gebracht
Die ersten Bewährungsproben nach dem Fest waren gesellschaftlicher Natur, und da kam ihm seine gesellige Natur zustatten. Bevor er am Montagbend nach dem Fest in Cham zu einem grossen Empfang antrat, brachte er in der «Tagesschau» des Fernsehens noch schnell die Moderatorin aus dem Häuschen, die den «chächen» Gast gebührend bewunderte. Danach feierten am Empfang des Schwingklubs Cham 2500 Leute den neuen König. Der Zuger Landammann Andreas Iten sagte, der Sieg sei zwar alles in allem überraschend gekommen, doch nach dem souveränen Triumph auf dem Brünig sei er nichts als folgerichtig gewesen.

Abtwil wurde zu «Harrywil»
Einige Tage später der Empfang in Abtwil, das flugs zu «Harrywil» umfunktioniert worden war: Auch hier war in der Person von Viktor Rickenbach ein Vertreter der Kantonsregierung dabei, als Fan des neuen Schwingerkönigs, wie er sagte, und nicht, um ihn als Aargauer zu beanspruchen. Der Geehrte zog mit dem Siegerpreis, der Kampfkuh «Prune», durch die rund 2000 spalierstehenden Zuschauer und durfte oder musste auch ans Rednerpult treten. Für ihn sei wichtig, auf dem Boden der Realität zu bleiben und kühlen Kopf zu behalten. In erster Linie aber dankte «Harry» für die vielen Sympathiebeweise. Diese waren zum Teil auch per Post gekommen, in riesiger Anzahl, wie zu erfahren war.

Die gleichen Probleme der Schwingerkönige
Was für ein Regiment wird der neue König, der erste aus der Innerschweiz, führen? Darüber lässt sich heute nur spekulieren. Es ist anzunehmen, dass er die gleichen Probleme antreffen wird, wie seine Vorgänger. Die Gegner werden verhaltener zu Werk gehen, den König mit Gestellten zurückbinden wollen und darauf hoffen, dass er sich eine Blösse gibt. «Harry» ist zwar «rüdig stolz» auf seinen Titel, den er auch seinem Trainingskameraden und Lehrmeister Leo Betschart verdankt, hat aber vor übertriebenen Erwartungen gewarnt. Er werde bestimmt auch ab und zu verlieren, sich dadurch aber nicht aus dem Konzept bringen lassen. Schläpfer bezeichnete er sportlich gesehen als «so etwas wie ein Vorbild».

Schwingen als bäuerlich-ländliches Spiel
Im Radio bekannte sich Knüsel zum Schwingen als bäuerlich-ländlichem Spiel. Er fände es nicht gut, wenn es durch übertriebenes, profimässiges Training zum Spitzensport umfunktioniert würde. Knüsel steht zu seiner geselligen Ader, und er hat auch einen wohltuend trockenen Humor. Auf die Frage eines Reporters, wie es denn heutzutage mit der Kameradschaft unter den Schwingern bestellt sei, meinte er: «Die ist am Abend meist besser als am Morgen».
Wer die Schwingerkönige der letzten Jahrzehnte persönlich kennt oder gekannt hat, wird uns recht geben: Es sind alles ausgeprägte, eigenständige Persönlichkeiten. Es gibt kein Rezept, Schwingerkönig zu werden und auch keins, es zu bleiben. Heinrich Knüsel wird seinen Platz als ein umgänglicher, mit einem unerhörten Instinkt für den Zweikampf ausgestatteter, kometenhaft aufgestiegener Schwingerkönig einnehmen.

«Harry» Knüsel sagt zum Schwingsport: «Kameradschaftlich bringt das Schwingen sehr viel. Es ist zwar ein harter Sport und nimmt auch viel Zeit weg, aber jedes gute Abschneiden ist für mich eine persönliche Bestätigung. Ich habe sehr Freude am Schwingen.»

feldwaldwiesenblogger

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