Krafttraining im Schwingsport – Längst noch nicht ausgereift

Text und Fotos: Matthias Ludwig

Über mich
Mein Name ist Matthias Ludwig und ich arbeite als Leistungsphysiologe/Diagnostiker und Trainer im Ausdauer und Kraftbereich. Die Liebe zum Sport führte mich zur Ausbildung an die Deutsche Sporthochschule in Köln. Die einzige eigenständige Universität in Europa, die sich nur auf Sport konzentriert. Nachdem ich der Universität zunächst als Dozent erhalten blieb, führte mich mein Weg 2008 als Leistungsdiagnostiker in die Schweiz. So konnte ich früh mit den besten Sportlern aus verschiedenen Bereichen zusammenarbeiten und von den besten Trainern lernen. Parallel bin ich seit 2006 weltweit in der Trainerausbildung tätig und referiere über Trainingssteuerung, Kraft- und Ausdauertraining. Im Schwingsport arbeite ich seit 2011 als Kraft- und Athletiktrainer. Mittlerweile zertifiziert als Trainer im Olympischen Gewichtheben, gebe ich dieses Wissen seit 2011 an Schwinger aus mehreren Kantonen und verschiedenen Altersklassen weiter.

Stellenwert des Krafttrainings
Schwingen ist ein Techniksport. Doch die zweite Komponente, die Kraft, kommt bei allem Trainingsaufwand immer noch zu kurz. Mit Krafttraining meine ich Training mit hohen Gewichten, nicht das Training im Sägemehl. Das Krafttraining im Schwingsport wird mehr und mehr akzeptiert. Sätze wie „Ich hole mir die Kraft im Sägemehl“ hört man fast nicht mehr. Genauso selten ist, dass körperliche Arbeit als Ersatz geltend gemacht wird. Vor allem die junge Generation hat begriffen, welches Potenzial Krafttraining bietet und ist regelmässig im Kraftkeller zu finden. Die Spitzenschwinger der vergangenen Jahre haben hierfür extra Trainer engagiert, die sie für die Kranzfeste fit machen und Trainingsabläufe optimieren, beziehungsweise an Schwächen arbeiten. Für den Nachwuchs entsteht hier eine Wissenslücke: Die Trainer wissen zwar um die Wichtigkeit des Kraft- und Athletik-Trainings, das nötige Wissen fehlt allerdings häufig. Teils, weil sie selbst nie konsequent im Kraftbereich gearbeitet haben, teils auch, weil das Wissen in den letzten Jahren in diesem Bereich enorm erweitert wurde. Übungen aus dem klassischen Gewichtheben gehören ebenso zum Repertoire des modernen Trainings wie Übungen mit Kettlebells (Kugelhanteln) und Gleichgewichtsübungen. Dazu kommen einige Varianten um das Training variabel und abwechslungsreich zu gestalten, so dass der Körper sich auf die neuen Reize einstellen muss und der Geist nicht müde wird. Richtig geplant ist das Krafttraining auch trotz körperlicher Arbeit möglich.
Nun habe ich bei MYPersonalcoach.ch mittlerweile einige Schwinger in Betreuung, von unterschiedlichem Alter und unterschiedlicher Klasse. Alle haben auf Nachfrage beim ersten Kontakt angegeben, dass sie Krafttraining machen. Auf die Frage wie sie es machen und unter welchen Anweisungen, gaben sie an, dass der Trainer gesagt hat: „Mach Krafttraining“. Zufall? Vielleicht. Aber Schwinger aus verschiedenen Teilverbänden, die das gleiche berichten? Ein näherer Blick lohnt sich. Vor allem in Zeiten der höchsten Popularität und zunehmender Professionalisierung des Schwingsports.

Die Anforderungen
Neben der Technik ist Schwingen auf den ersten Blick vor allem eines: Eine Schnellkraftsportart. Da scheint es nur logisch zu sein, das Krafttraining ebenso auszurichten. Was ist aber mit der zeitlichen Komponente? Oder besser gesagt: Der Ermüdungsresistenz? Je länger ein Gang dauert, desto höher die anaerobe Komponente (Energiebereitstellung unter Laktatproduktion). Wer hier schlecht aufgestellt ist, wird aufgrund von Konzentrationsschwäche und Kraftverlust dem athletischeren Gegenüber unterlegen sein. Athletisch bedeutet nicht in erster Linie kräftig und schwer.
Kraft = Masse mal Beschleunigung. Setzt sich die Masse eines Schwingers nicht aus aktiver (beschleunigender) Muskulatur zusammen, sondern aus „Schwungmasse“, wird es schwierig. Das heisst: Bei aller Masse muss auch die nötige Kraft vorhanden sein, diese Masse zu beschleunigen. Das Verhältnis muss stimmen. Mit wenigen Ausnahmen sind die heutigen Spitzenschwinger Athleten. Alle über 100 Kilogramm und alle mit der nötigen Muskulatur ausgestattet, das Gewicht richtig einzusetzen. Nicht zu vergessen der funktionelle Anteil. Es bringt wenig, den Bizeps beispielsweise massiv auf zu trainieren, diese Kraft im Wettkampf aber nicht einsetzen zu können. Das bedeutet: Funktionell, also bewegungsangepasst trainieren.
Was ist aber mit einem ganzen Wettkampftag? Auch die aerobe Ausdauer (was zum Beispiel ein Triathlet braucht: Energie bereitstellen ohne zu übersäuern) spielt eine gewisse Rolle. Je besser die ist, desto besser ist die Regeneration zwischen zwei Gängen.

Wie trainieren meine Athleten?
Einige Kränze im letzten Jahr zeigen, dass nicht alles schlecht war was gemacht wurde. Ein neuer Athlet muss ein gewisses Assessment (Beurteilung) durchlaufen. Das heisst, es gibt ein bis drei Termine an denen wir uns persönlich sehen und wir Trainings zusammen absolvieren. Dabei technische Schwächen zu erkennen und zu beheben versuchen. Viel Gewicht zu bewegen bedeutet nicht automatisch ein hohes Verletzungsrisiko. Das besteht nur, wenn zum Beispiel bei der tiefen Kniebeuge die Kniestellung nicht stimmt. Oder anders gesagt: Die Technik schlecht ist. Danach definieren wir sogenannte Benchmarks (Vergleichsmassstäbe). Das sind Übungen und Abläufe, die sich in regelmässigen Abständen wiederfinden und die wir als Standortbestimmung nutzen. Das kann, je nach Athlet, bis zu zwei Wochen dauern, verteilt auf etwa sechs Tage. Der eigentliche Aufbau startet ab da. Dabei gibt es einen groben Rahmenplan, der die Saison in verschiedene Blöcke einteilt: Teile in denen der Kraftaufbau im Vordergrund steht, spezifische Schnellkraft, anaerobes Training und der Erhalt des Ganzen. Dies alles angepasst auf den Wettkampfkalender. Dabei zeigt sich, dass es mehr als „Mach Krafttraining“ ist. Viele Komponenten spielen zusammen und ergeben im Endeffekt das Gesamtresultat.

Am Anfang steht die Kraft
Die Maximalkraft ist nach der Technik ein zentraler Teil des Schwingsports. Ihr wird auch im Training ein grosser Teil der Zeit gewidmet, vorausgesetzt die technische Übungsausführung ist gut. Welche Muskelgruppen im Fokus stehen, ist wiederrum abhängig von der Ausgangslage des Sportlers. Oberschenkel – Vorder- und Rückseite, Rumpf, Arm und Schultergürtel. Das wird trainiert mit verschiedenen Übungen und Übungsmustern. Dann der zweite Teil der Schnellkraft: Die Fähigkeit Muskelfasern schnell anzusteuern. Das Ganze wird mit funktionellen Übungen kombiniert. Das bedeutet, Schnellkraft funktionell anzuwenden, wie es im Wettkampf auch passieren muss.
Mit MYPersonalcoach.ch habe ich ein Tool, das individuelles Training ermöglicht, ohne dass ich immer vor Ort sein muss. Das hat einen klaren zeitlichen und finanziellen Vorteil und erlaubt dabei jedem, ein spezifisches Training, das Stärken und Schwächen erkennt und ausgleichen kann.

Ermüdungsresistenz – anaerobe Ausdauer
Das sogenannte Laktat kennen die Meisten. Das Brennen in der Muskulatur, welches uns zwingt den Berg langsamer hoch zu laufen. Die Atmung ist beschleunigt und wenn wir das Tempo nicht weiter reduzieren, zwingt uns unser Körper stehen zu bleiben. Das kommt daher, dass wir schnell viel Energie verbraucht haben. Zuviel Kraft aufgewendet haben, um das über längere Zeit zu machen. Je länger der hohe Krafteinsatz, desto früher müssen wir aufhören. Der Eine kann das vielleicht 30 Sekunden, eine Minute oder länger. Und genau das kann den Unterschied in einem Wettkampf, der vielleicht sechs Minuten dauert, ausmachen. Das kann man trainieren. Ein Paradebeispiel sind 400-Meter- oder 800-Meter-Läufer: Das Startsignal kommt und dann geht es nur darum, das maximale Tempo möglichst lange aufrecht zu halten. Trotz der Schmerzen, die mit jedem Schritt grösser werden und es mit jedem Schritt schwerer wird, ein Bein vor das andere zu setzen. Beim Schwingen ist es ähnlich: Höchste Körperspannung von Anfang an. Dazu kommt eine enorme Anforderung an die Konzentration. Nur geht es hier nicht um eine Zeit. Es geht um gewinnen und verlieren. Ein Fehler oder eine Unkonzentriertheit kann dazu führen, dass du vom Gegner auf den Rücken gedreht wirst. Dieser entscheidende Augenblick kommt in jedem Kampf. Gewinnen wird der, der in diesem Moment noch das Quäntchen frischer ist. Wie gesagt: Das kann man trainieren. Und das sollte auch Teil eines jeden Trainings sein.

Welche Komponenten gehören noch dazu?
Ludwig Feuerbach prägte den Ausspruch „Du bist was du isst“. Mittlerweile ist dieses Zitat gut 150 Jahre alt und hat trotzdem immer noch seine Gültigkeit. Die Menge und die Qualität der zugeführten Nahrungsmittel haben auch einen massiven Einfluss auf die Leistungen im Training, und damit indirekt auch auf die Leistung im Wettkampf. Das Essverhalten am Wettkampftag beeinflusst die Leistung ebenfalls. Ausnahmen gibt es, und die bestätigen wie immer die Regel, beispielsweise Christian Stucki. Ich denke aber, dass der Schwingsport weiter an Professionalität zunehmen wird. Und je weiter Sportler an ihr Leistungslimit kommen, desto wichtiger wird es, dass Einflussfaktoren wie Ernährung, oder auch Mentaltraining, im Training berücksichtig und optimiert werden.

Wo liegt das Problem im Krafttraining?
Neben der oben beschriebenen Komplexität des Krafttrainings im Erwachsenenalter muss man sich doch vergegenwärtigen, dass die Grundlagen dafür schon in der Jugend gelegt werden. Das heisst, dass ein strukturierter Aufbau, der die Sportler an die komplexen Übungen beispielsweise des Gewichthebens heranführt, erfolgen sollte. Am Anfang steht die Technik. Das gilt für das Schwingen wie für das Krafttraining. Dabei muss dafür kein grosser Teil des Trainings geopfert werden. Basisübungen können zum Beispiel in das Aufwärmen integriert werden. Training mit hohen Gewichten bietet enorm viel Potenzial im Maximal- und Schnellkraftbereich. Und bietet natürlich auch ein hohes Verletzungsrisiko. Allerdings nur, wenn unsauber gearbeitet wird. Ergänzende Stabilisierungsübungen und Dehnung der beanspruchten Muskulatur muss ebenfalls seinen Platz finden. Es schadet also nicht, das eigene Training zu hinterfragen und neuem gegenüber offen zu sein.

feldwaldwiesenblogger

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