Tobias Widmer fand nach einer Verletzungs-Odyssee am ESAF in Pratteln wieder zu alter Stärke zurück

Der Nordwestschweizer wurde am ESAF verdient zum Eidgenossen gekrönt. Mit 75.25 Punkten und einem starken Notenblatt belegte Tobias Rang 7c. Seine Verletzungsgeschichte fand just am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest ein glückliches Ende.

Text: Schwinger-Blog / Bilder: Pascale Alpiger und Tobias Widmer

2018 war die bisher stärkste Saison

Tobias’ Notenblatt am ESAF darf sich absolut sehen lassen: Fünf Siege und zwei «Gestellte» stehen einer Niederlage gegenüber. Der Kranzgewinn stand bereits nach dem siebten Gang fest, als er Matthias Herger platt bezwang. Die Niederlage im achten Gang gegen Schwingerkönig Kilian Wenger blieb folgenlos. Nebst Wenger stehen noch drei andere Eidgenossen auf dem Notenblatt. Einer davon, Martin Hersche, wurde unter die Verlierer gereiht.

Nimmt man die Kranzbilanz des Neueidgenossen näher unter die Lupe, fällt die Saison 2018 mit sieben Kranzgewinnen auf. Bereits die Saison zuvor gewann Tobias fünf Kränze. 2019 und 2021 wies die Bilanz jeweils null Kränze auf, und in der zu Ende gegangenen Saison stehen drei Kränze zu Buche. Im nachfolgenden Gespräch erzählt uns der Sennenschwinger unter anderem von seiner Verletzungs-Odyssee in den letzten vier Jahren.

Neueidgenosse Tobias Widmer zusammen mit seinem Mentaltrainer und guten Freund Stefan Hell

Mitglied beim Schwingklub Aarau

Das Geburtsdatum von Tobias ist der 24. August 1996. Der 26-Jährige wohnt derzeit in Kölliken, ist ledig und weist mit seiner Grösse (190 Zentimeter) und seinem Gewicht (117 Kilogramm) optimale Masse für den Schwingsport auf. Der frisch gebackene Eidgenosse machte eine Ausbildung zum Kaufmann und arbeitet nun Vollzeit als HR Business Partner bei Coop. In der Zeit, welche nebst dem Beruf und dem Schwingsport übrigbleibt, unternimmt Tobias Freizeitaktivitäten mit seinen Klubkollegen, ist mit dem Fahrrad unterwegs oder spielt Gitarre. Der Sennenschwinger ist Mitglied beim Schwingklub Aarau, welcher dem Aargauer Kantonalen Schwingerverband angehört. Während der Schwingsaison wird viermal trainiert. Auf dem Programm stehen drei Schwingtrainings und ein Krafttraining.

Der Eidgenössische Kranz ist bisheriger Karrieren-Höhepunkt

Das am ESAF gewonnene Eichenlaub bedeutet Kranz Nummer 18 für Tobias, und ist sein bisheriger Karrieren-Höhepunkt. Zur Kranz-Sammlung des Aargauers gehören zudem ein Berg-, vier Teilverbands und zwölf Kantonalkränze. Seinen ersten Kranz gewann er 2014 beim Baselstädtischen Schwingertag. Weitere Erfolge sind die Schlussgangteilnahme beim Baselstädtischen Schwingertag 2018 und die drei Regionalfestsiege beim Guggibad-Schwinget 2017, beim Niklaus-Thut-Schwinget 2018 sowie beim Schachen-Schwinget 2022. Zudem erreichte der gelernte Kaufmann bei fünf weiteren Regionalschwingfesten den Schlussgang. Die bevorzugten Schwünge sind der Kurz und der Wyberhaken. Zum Schwingsport kam Tobias durch Zufall. Der Fünfeinhalbjährige besuchte zusammen mit seinen Eltern ein Schnupperschwingen vom Schwingklub Aarau. Das Schwingfieber packte ihn sofort und eine Woche später besuchte der Knirps das erste Schwingtraining.

Tobias zog im fünften Gang Florian Weyermann wuchtig mit einem Kurz an

Herzliche Gratulation zum Eidgenössischen Kranz! Was für Gedanken begleiteten dich bei der Krönung?

«Es war für mich eine grosse Erleichterung. Vor dem ESAF spürte ich ein grosser Druck, da ich 2019 verletzungsbedingt nicht am «Eidgenössischen» teilnehmen konnte. Der ESAF-Kranz war für mich ein Bubentraum und ein solcher Gewinn trat wegen dem harten Training immer mehr in den Vordergrund. Viel Druck fiel nun von mir ab, und ich kann künftig alles aus mir herausholen.»

Nach dem Sieg im siebten Gang war dir der Kranz sicher. Wie hast du Matthias Herger bezwungen?

«Ziemlich am Anfang des Ganges konnte ich ihn mit einem Kurz bezwingen.»

Hast du nach dem Sieg über den Eidgenossen Martin Hersche langsam, aber sicher mit dem ESAF-Kranzgewinn geliebäugelt? 

«Ich habe bis zu diesem Gang noch gar nicht daran gedacht. Der Gang gegen Hersche war der letzte vom ersten Tag. Ich konnte am Abend gut einschlafen, erwachte aber morgens um 1 Uhr. Ich schwitzte und fühlte mich unwohl. Gedanken schwirrten durch den Kopf. Mich beschäftigte, was es noch für den Kranzgewinn braucht. Ich konnte mich schliesslich damit beruhigen, dass es nach dem guten ersten Tag am Sonntag durchaus machbar ist.»

Dein ESAF-Fazit ist ein starkes Notenblatt mit vier Eidgenossen, einer davon wurde bezwungen. Die Nicht-Eidgenossen hast du allesamt gebodigt. War es für dich ein fast perfekter Wettkampf?

«Ja, das würde ich so bezeichnen. Einzig im Gang gegen Erich Fankhauser hätte ich mehr Risiko nehmen können. Ansonsten lief es für mich fast perfekt.» 

Welcher der acht Gänge war dein härtester Kampf?

«Körperlich war es der Gang gegen Florian Gnägi, ich habe ihn unterschätzt. Gegen ihn war es mir beim Greifen schon nicht wohl. Aber: Die härtesten Gänge waren nicht mal diejenigen gegen die Eidgenossen, sondern gegen die Berg- und Teilverbandskranzer. Ich wusste, dass ich diese auf dem Weg zum Kranzgewinn fast ausnahmslos bezwingen muss. Ansonsten wäre der Druck noch grösser geworden, um gegen die zugeteilten Eidgenossen zu bestehen.»

Volle Konzentration auf den nächsten Gang

2019 und 2021 konntest du nicht schwingen. Erzähl doch von deiner Verletzungs-Odyssee.

«Im März 2019 riss ich mir beim Hallenschwinget Brunegg im ersten Gang das Kreuzband. Zwei Tage später wurde ich am rechten Knie operiert. Der anschliessende Aufbau dauerte bis Januar 2020. Ich konnte in der Folge während rund vier Wochen schwingen, unter anderem auch in Magglingen. Auf dem Programm stand Techniktraining. Dann kam die Corona-Pause. Im Oktober 2020 wurden die Massnahmen gelockert und dann passierte es wieder: Bei einem Kaderzusammenzug übten wir Schwünge. Bei einer unglücklichen Bewegung riss ich mir im linken Knie das Kreuzband. Es folgte wieder eine Operation und der Aufbau, welcher etwa ein Jahr dauerte. Es gab leider Komplikationen im operierten linken Knie. Mit einer Spritze musste einige Male Blut rausgezogen werden. Zudem musste ich mich noch einer kleinen Operation unterziehen, ehe alles gut kam. Im November 2021 konnte ich wieder das Schwingtraining aufnehmen.»

In der diesjährigen Saison hast du drei Kränze gewonnen. Zwischen dem Solothurner Kantonalen (22. Mai) und dem ESAF von Ende August kamen keine Kränze hinzu. Warst du in dieser Zeit verletzt?

«Ja. Ich habe mir beim Rippenknorpel einen Riss eingefangen. Das hatte zur Folge, dass eine Rippe in den Muskel drückte. Das war schmerzhaft, aber weiter nichts Schlimmes. Ich liess deswegen einige Schwingfeste aus, um das abheilen zu lassen. Der Wiedereinstieg war fürs Nordwestschweizer Schwingfest geplant. Vorgängig befand ich mich im Trainingslager des Nordwestschweizer Kaders. Beim wettkampfmässigen Schwingen renkte ich mir beim Abstützen die Schulter aus und sofort wieder ein. Das war drei Wochen vor dem «Eidgenössischen». Ich dachte gleich, das ist es nun wieder gewesen. Guido Thürig, unser Technischer Leiter, kam zu mir und sagte: Wenn möglich musst du in deiner Karriere wieder an einem Grossanlass teilnehmen, und dieses Gefühl spüren. Ich liess mir dann ein MRI machen. Dieses zeigte nur leichte Schäden an der Schulter, nichts Gravierendes. Das Nordwestschweizer Schwingfest musste ich zwar auslassen, fürs ESAF wurde ich zum Glück rechtzeitig fit.»

Was macht das mit dir, deine Verletzungsgeschichte? Gehst du das Training und die Wettkämpfe entsprechend an, oder blendest du das komplett aus?

«Während den Wettkämpfen blende ich das komplett aus. Ich habe wegen meiner Verletzungsgeschichte gelernt, besser auf meinen Körper zu hören. Wichtig ist für mich die Trainingsqualität, die Quantität steht nicht im Vordergrund. So kommen zwischen den Trainings auch genügend Ruhephasen zum Zug.»

Wenn du schwingen kannst, mischt du meist grad an der Spitze mit. Was meinst du, wie viel braucht es noch bis zu deinem ersten Kranzfestsieg?

«Ich denke, es braucht noch etwas mehr Risikobereitschaft von mir. Zudem ist es noch ein grosser Schritt, an welchem ich arbeiten muss. Ich muss mir verinnerlichen, immer noch voll an den Sieg zu glauben, auch wenn sich ein Gang dem Ende nähert. Denn das macht es schliesslich aus, ob man gewinnt oder bloss dritter oder vierter wird.»

Wann steigst du ins Wintertraining ein? Wie sieht der Plan aus?

«Ich bin seit drei Wochen wieder am Trainieren, und zwar im athletischen Bereich. Anfang November starten wir mit dem Schwingtraining. Während dem Saisonaufbau sieht meine Woche folgendermassen aus: Am Montagabend ist Kaderzusammenzug (Aargauer Kantonal- oder Nordwestschweizer Teilverbandstraining). Am Dienstag ist Schwingtraining mit meinem Klub, am Mittwoch absolviere ich ein Athletiktraining. Am Donnerstag ist wieder Klubtraining und am Freitag widme ich mich erneut dem Athletiktraining. Und dann geniesse ich ein entspanntes Wochenende.»

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.